Glosse

Der Rest der Welt

Warum der Schachverein Wollishofen auf mich verzichten muss

von Beni Frenkel  06.12.2018 14:59 Uhr

Schach – und matt Foto: Getty Images / istock

Warum der Schachverein Wollishofen auf mich verzichten muss

von Beni Frenkel  06.12.2018 14:59 Uhr

Mit zehn Jahren bin ich dem Schachklub Baden beigetreten. Schnell habe ich mich an die Spitze gespielt und an der Bezirksmeisterschaft in der Kategorie Jugend den achten Platz geholt. Der Sieger durfte als Erster ein Geschenk vom Gabentisch auswählen, dann der Zweitbeste.

Ich war schon damals etwas dicklich und aspirierte auf die Riesentafel Schokolade. Und tatsächlich: Ich, Achtbester des Bezirks Baden, trug am Ende ein Kilogramm Milchschokolade nach Hause.

ERFOLG Diesen Erfolg konnte ich leider nie mehr wiederholen. Ein Jahr später fand in Zürich ein jüdisches Schachturnier statt. Ich wollte dieses Turnier unbedingt gewinnen. Die beiden Besten bekamen nämlich einen Gratisflug nach Israel, um an der Makkabiade teilzunehmen.

Ich war ein Jahr zuvor zum ersten Mal mit der Familie nach Israel geflogen. Am meisten hat mir damals das israelische Frühstück im Hotel imponiert. Alles war koscher, und man durfte seinen Teller immer wieder auffüllen lassen. Ich weiß noch, dass mein Vater und ich viel Zeit am Buffet verbrachten.

Die Vorstellung, die Schweiz in Israel zu repräsentieren und nochmals den ganzen Morgen mit Essen zu verbringen, machte mich sehr nervös. Mein erster Gegner beim jüdischen Schachturnier war ein blinder Mann. Er spielte auf einem Steckbrett und tastete nach jedem Zug die Figuren ab. Auch meine. Dabei kaute er auf Sonnenblumenkernen herum.

SCHAULUSTIGE Ich nahm mir fest vor, gegen den Blinden zu gewinnen. Schummeln ging leider nicht, da sich eine Traube Schaulustige um unseren Tisch versammelt hatte. Die Sympathie der Zuschauer lag natürlich nicht beim dicken, schwitzenden Jungen, sondern beim armen Blinden. Ich weiß nicht mehr, wie ich gespielt habe. Ich weiß nur, dass ich verloren habe.

Bei diesem jüdischen Schachturnier wurde ich Drittletzter. Immerhin besser als zwei Frauen, die sich nur aus Spaß angemeldet hatten. Als ich vom Gabentisch auswählen durfte, gab es noch drei Schachbücher für Anfänger.

Seitdem habe ich nie wieder an einem Wettkampf teilgenommen. Eigentlich bedauerlich, denn ich wohne knapp 50 Meter vom Klubhaus des Schachvereins Wollishofen entfernt. Das ist einer der größten Schachvereine der Schweiz. Für diese Bezeichnung reichen gerade einmal 120 Mitglieder.

Manchmal spiele ich gegen mich selbst. Ich gewinne immer. Auch mein Sohn hat keine Chance gegen mich. Er wird jedes Mal wütend. Am liebsten koste ich seine Niederlage lustvoll aus. Ich erlege alle seine Figuren, bis er nur noch mit dem König übers Brett irrt. Dann kündige ich ihm an: »In drei Zügen bist du matt!« Er flippt total aus und schmeißt Brett und Figuren auf den Boden. Das hätte ich beim Blinden eigentlich auch tun sollen. Aber dann wäre ich vielleicht noch disqualifiziert worden und hätte gar nichts vom Gabentisch bekommen. Ich glaube, ich schenke meinem Sohn mal das Buch für Anfänger.

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