Jom Kippur ist seit etwas mehr als einer Woche vorbei, aber es gibt etwas, was mich jedes Jahr daran erinnert. Als ich noch jünger war, habe ich an Jom Kippur immer an zwei Stellen des Gebetbuches geweint. Und zwar geht es um das Sündenbekenntnis am Ende des Morgengebets. Da steht: »Die Sünde, die wir vor Dir begangen haben durch Unzucht.« Und ein paar Zeilen weiter: »Die Sünde, die wir vor Dir begangen haben durch Verabredung zur Unzucht.«
Mir wurde immer angst und bange: »Mich schreibt der Ewige sicher nicht in das Buch des Lebens ein!« Denn ich habe immer Schulmädchenreport auf Sat1, Tutti Frutti auf RTL plus und Black Emanuelle auf ProSieben geguckt. Der einzige Sender, der mich nicht in Versuchung führte, war das Schweizer Fernsehen. Da lief zu fortgeschrittener Stunde nur das Testbild.
mitternacht Das Problem früher war, dass die oben genannten Sendungen erst nach Mitternacht auf dem Bildschirm flackerten. So lange konnte ich nicht wach bleiben. Ich glaube, es ist der Talmud, der irgendwo feststellt: Nichts ist stärker als der Schlaf. Auch nicht die Begierde.
Was tat ich also? Ich verabredete mich zur Unzucht. Ich programmierte auf unserem alten Videorekorder den neunstelligen ShowView-Code von Tutti Frutti. Und das ging so: Mitten in der Nacht erzeugte der Videorekorder laute Geräusche, die in etwa vergleichbar waren mit dem späteren 56k-Modem-Klang. Zu technisch? Also, der Videorekorder machte um Mitternacht dieses Geräusch: Tschibuchschutschi-ojnk-zisch! Das war so laut, dass mein Vater immer verwirrt aufwachte und auf die Toilette ging.
videorekorder Ich hatte aber folgendes Problem: Die Kassette, die ich um acht Uhr morgens aus dem Videorekorder zog, war koscher. Kein Tutti Frutti, dafür viel Morgenshow, Wetterprogramm, Frühgymnastik. Der dumme Videorekorder nahm alle Sendungen ab Mitternacht auf und überspielte die Sexszenen mit alten Alf-Sendungen, die um vier Uhr morgens liefen. Damit war natürlich niemandem gedient. Mein verwirrter Vater klagte am Sonntagmorgen über eine unruhige Nacht, und ich guckte hopsenden Mittvierzigern zu.
Die Lösung kam mit der EMTEC VHS 300 EQ Videokassette. Die konnte fünf Stunden aufnehmen, bevor sie die alten Daten wieder überspielte. Mein Glück kannte keine Grenzen. Die Kassetten waren zwar ziemlich teuer, dafür konnte ich mich endlich fortbilden.
An Jom Kippur aber meldete sich dann prompt das schlechte Gewissen: »Die Sünde, die wir vor Dir begangen haben durch Unzucht.« Ich versprach Gott unter Tränen, die vielen VHS-Kassetten unter meinem Bett nicht wegzuwerfen, aber wenigstens mit züchtigen Morgengymnastik-Sendungen zu überspielen.