Finale

Der Rest der Welt

Mich hat die ganze Antisemitismusdebatte der vergangenen Wochen nicht groß interessiert: Ich wollte einfach den Frühling genießen. Doch auch dabei stieß ich leider auf eines der liebsten Motive von Antisemiten: die jüdische Weltverschwörung.

Noch vor einem Monat hätte ich jeden, der einen Zusammenhang zwischen Frühlingsgefühlen und der nahenden jüdischen Weltherrschaft gesehen hätte, einen Verschwörungstheoretiker genannt. Mittlerweile glaube ich’s fast selbst.

JSwipe Alles begann damit, dass ich von einer Freundin dazu gedrängt wurde, mich zu verlieben. Und wenn heutzutage gerade kein Verlieb-dich-Potenzial vor einem sitzt, gibt es ja auch andere Wege. Von jüdischen Freunden hatte ich bereits von »Jswipe« gehört, und dass man da nur Leute findet, die man schon seit dem jüdischen Kindergarten nicht daten möchte – oder schon gedatet hat. Eher unangenehm. Die Freundin meldete mich also stattdessen einfach auf Tinder an. Wegen meiner latenten Rechts-Links-Schwäche wischte sie fleißig für mich.

Nach zwei Stunden Wischen ihrerseits und einer halben Weinflasche auf meiner Seite hatte ich also »Matches«. Sie erklärte mir, wie ich fortfahren sollte: warten, bis die Jungs schreiben. Meine feministische Seele protestierte, der Angsthase in mir nickte zufrieden.

Das erste Match hatte sogar schon geschrieben. Und: Es hatte einen hebräischen Namen. Das konnte doch nicht wahr sein! Sie ahnen es: Ich war einer großen Verschwörung auf der Spur. Eine Schar jüdischer Mammes musste sich in den Server von Tinder gehackt haben und nun auf Hochtouren daran arbeiten, alle, die jüdischen Dating-Portalen entwischt waren, zu verkuppeln. Nach dem Skandal um verkaufte Facebook-Daten könnte ich mir vorstellen, dass hier größere Summen Geld geflossen sind.

Mamme-Mafia Ich hoffe, die Jüdische-Mamme-Mafia bekam große Zweifel an ihrer Mission, als sie das unangenehme Gespräch verfolgt hat, das sich auf Tinder zwischen meinem offensichtlich jüdischen Match und mir entwickelte. Es hatte etwas von: »Erst du«, »Nein, du zuerst.«

Ich fragte nach seinem biblischen Namen, dann kamen wir zu seinen russischen Wurzeln, und schließlich offenbarten wir beide, widerwillig und äußerst kryptisch, unsere jüdischen Wurzeln. Dann war zwei Tage lang Funkstille. Entweder, der arme Kerl musste wie ich auch erst einmal den Schock über die jüdische Weltverschwörung überwinden, oder er dachte, seine überfürsorgliche Mamme hätte sein Handy geklaut und für ihn ein paar jüdische Matches geklärt.

Er meldete sich übrigens noch! Gleich mit Zukunftsplänen. Er sei Medizinstudent, mit ihm müsste ich mir nie Sorgen machen (er wusste, dass sich alle jüdischen Frauen immer sorgen). Er kenne sich bestens mit Mund-zu-Mund-Beatmung aus. Dahinter stand ein Smiley. Kein flirtender, den Satz als schlechte Anmache entlarvender.

Nein, ein lächelnder. So wie meine Oma lächelt, wenn sie mir noch ein Stück Kuchen aufdrängt. Er meinte es ernst. Guter jüdische Junge. Damit war Tinder abgehakt. Nur: Wie werde ich jetzt die Frühlingsgefühle los? Vielleicht beschäftige ich mich doch mit diesem Antisemitismus oder höre mir ein gewisses Deutschrap-Album an.

Programm

Termine und TV-Tipps

Termine und Tipps für den Zeitraum vom 20. Februar bis zum 27. Februar

 21.02.2025

Berlinale

»Das verdient kein öffentliches Geld«

Der Berliner CDU-Fraktionschef Dirk Stettner hat seine Karte für die Abschlussgala zerrissen – und will die Förderung für das Filmfestival streichen

von Ayala Goldmann  21.02.2025

Bayern

NS-Raubkunst: Zentralrat fordert schnelle Aufklärung

Der Zentralrat der Juden verlangt von den Verantwortlichen im Freistaat, die in der »Süddeutschen Zeitung« erhobenen Vorwürfe schnell zu klären

 20.02.2025

Kolumne

Unentschlossen vor der Wahl? Sie sind in guter Gesellschaft – mit Maimonides

Der jüdische Weise befasste sich mit der Frage: Sollten wir als Kopfmenschen mit all unserem Wissen auch bei Lebensentscheidendem dem Instinkt vertrauen?

von Maria Ossowski  20.02.2025

Berlin

Eine krasse Show hinlegen

Noah Levi trat beim deutschen Vorentscheid für den Eurovision Song Contest an. In die nächste Runde kam er nicht, seinen Weg geht er trotzdem

von Helmut Kuhn  20.02.2025

NS-Unrecht

Jüdische Erben: »Bayern hat uns betrogen« - Claims Conference spricht von »Vertrauensbruch«

Laut »Süddeutscher Zeitung« ist der Freistaat im Besitz von 200 eindeutig als NS-Raubkunst identifizierten Kunstwerken, hat dies der Öffentlichkeit aber jahrelang verheimlicht

von Michael Thaidigsmann  20.02.2025

Literatur

»Die Mazze-Packung kreiste wie ein Joint«

Jakob Heins neuer Roman handelt von einer berauschenden Idee in der DDR. Ein Gespräch über Cannabis, schreibende Ärzte und jüdischen Schinken

von Katrin Richter  20.02.2025

Berlinale

Auseinandergerissen

Sternstunde des Kinos: Eine Doku widmet sich David Cunio, der am 7. Oktober 2023 nach Gaza entführt wurde, und seinem Zwillingsbruder Eitan, der in Israel auf ihn wartet

von Ayala Goldmann, Katrin Richter  19.02.2025

Berlin

»Sind enttäuscht« - Berlinale äußert sich zu Antisemitismus-Skandal

»Beiträge, die das Existenzrecht Israels infrage stellen, überschreiten in Deutschland und auf der Berlinale eine rote Linie«, heißt es in einer Erklärung des Festivals

von Imanuel Marcus  19.02.2025