Reb Frenkel?» – Ich drehe mich um. Vor mir steht ein alter Jude mit langem Bart. Er reicht mir knapp bis zur Schulter. «Ihr seid Reb Frenkel?», fragt er nochmals. Ich nicke erstaunt. Ich habe den Kerl noch nie gesehen. Ich komme gerade vom Beten und eile nach draußen. In zehn Minuten muss ich auf Arbeit sein. Doch dieser Rabbiner steht mir jetzt im Weg. «Ich heiße auch Frenkel», stellt er sich vor.
Er komme aus Israel und sei nur für ein paar Tage hier in Zürich. Sein Großvater übrigens ist der bekannte Verleger, der vor etwa 20 Jahren das Hauptwerk von Maimonides, die Mischne Tora, neu herausgegeben hat. Der Begriff «Mischne Tora von Frenkel» hat sich im Laufe der Zeit zu einem Eigennamen entwickelt. «Ihr seid auch mit ihm verwandt?», will er wissen. Neidisch schüttle ich den Kopf.
stammbaum Der Rabbi aus Israel lässt nicht locker. Irgendwie müssen wir doch verwandt sein. Wir sind doch beide Frenkels! Er rattert seinen Stammbaum herunter. Bis zum achten Geschlecht! Alles berühmte Rabbiner. Ich schaffe es nur bis zum Großvater. Der war Maler.
Der Rabbi ergreift meine Hand und kommt ganz nahe. Er freut sich riesig. Über 1000 Kilometer ist er gereist und steht nun vor einem Frenkel. Auch mich durchflutet ein warmes Gefühl. Über 40 Jahre musste ich warten, bis ich einem Frenkel gegenüberstehe, der einen langen Bart hat. Er lächelt mich an. Und ich vergesse meine Termine.
Es ist ein Winkelschlag der Geschichte. Zwei fremde Frenkels finden zueinander. Er und ich kommen ursprünglich aus Russland, sagt mir der Rabbiner. Ein Frenkel-Zweig hat sich in Zürich niedergelassen, ein anderer in der Heiligen Stadt Jerusalem. Und nun schließt sich wieder der Kreis. Ich muss mit den Tränen kämpfen.
hochzeit Der Rabbi räuspert sich. Nun, er sei aus einem speziellen Grund nach Zürich gekommen, teilt er mir mit. Ich lausche gespannt. Also: Seine Tochter heirate bald. «Masal Tow!», juble ich. Danke, danke. Aber es gebe da ein Problem, meint er. Er guckt mir direkt in die Augen: «Reb Frenkel, könnt ihr mir Geld für die Hochzeit geben?»
Langsam beginne ich zu begreifen, worum es also geht. So hat mich noch niemand um Geld angebettelt. Das ist große Klasse! Ich gebe ihm 50 Franken. Mehr habe ich nicht im Portemonnaie.
Er schüttelt mir die Hand und segnet mich mit allem Guten dieser Welt. Ich sage nur Amen, Amen, Amen. Dann taumle ich Richtung Türe. Der Rabbi aber geht zum nächsten Juden: «Reb Teitelbaum?»