Vor mehr als 25 Jahren wollte ich ein großer Rabbiner werden. Ich war damals ein lausiger Gymnasiast, der gegen alles aufbegehrte. Irgendwann wurde es meinen Eltern zu viel, und sie gaben meinem Drängen nach. Damals gab es in der Schweiz nur eine Talmudhochschule. Die war allerdings chassidisch geprägt.
Dass ich Jahre später mit langen Schläfenlocken nach Hause kehrte, wollten Vater und Mutter auf keinen Fall.
Also schickten sie mich nach England, wo es normale Talmudhochschulen gab. An einem kalten, regnerischen Tag stand ich vor der Jeschiwa in Gateshead. Hoch im Norden Englands.
Die ersten Wochen verliefen sehr gut. Ich lernte zwölf Stunden am Tag. Schnell konnte ich den Rückstand zu den anderen aufholen, die schon seit Kindheitstagen nur Religiöses lernten. In Woche vier – wahrscheinlich – wurde es mir langweilig. Immer nur Tora lernen! Aus den zwölf Stunden Torastudium wurden zehn, acht, sechs, und irgendwann erschien ich nur noch zu den Mahlzeiten.
Dann flog ich von der Jeschiwa.
Manchester Ich zog Richtung Süden, nach Manchester. Dort gab es auch eine Jeschiwa. Wieder versuchte ich, den Lerntakt einzuhalten. Diesmal machte ich bereits in Woche drei schlapp. Mann, so viel lernen! Ich zog mit Kameraden downtown und schaute hübschen Frauen nach. Besonders clever waren wir nicht. Denn einmal spielten wir in der Kantine der Jeschiwa Black Jack. Das sah natürlich jemand. Am Tag darauf flogen wir alle von der Jeschiwa. Die Jungs mit reichen Vätern durften bleiben.
Das ist jetzt schon mehr als ein Vierteljahrhundert her. Ich denke nur noch selten daran. Aber vergangenen Monat erhielt ich in kurzen Abständen je einen Brief der beiden Hochschulen. Ein Jubiläum stand an. Ich wurde eingeladen zum Bankett! Wer hätte das gedacht? Die Vergebung ist stärker als der Eifer.
Trotzdem warf ich die Einladungen in das Bündel mit Altpapier. Ich hätte sie längst vergessen, wenn nicht vergangene Woche ein Mr. Elefant und eine Mrs. Kernberg angerufen hätten. »Mister Frenkel, Sie haben unseren Brief noch nicht beantwortet. Dürfen wir mit Ihrer Präsenz rechnen?«
Geste Ich antwortete geschmeichelt, dass ich leider verhindert sei. Trotzdem vielen Dank für diese Geste. Es stellte sich heraus, dass die beiden Anrufer keine Ahnung hatten, dass ihre Jeschiwot mich einst rauswarfen.
»Oh, das tut uns very leid. Sie stehen halt auf unserer Ehemaligen-Liste. Nun, ähm, die zweite Frage: Dürfen wir mit Ihrer großzügigen Spende rechnen? Und wenn ja – how much?«
Natürlich nicht. Aber folgende Weisheit gibt’s gratis: Gelt kennt nischt kajn Punim (Gesicht).