Noch vor dem ersten Biss in eine Mazze begannen bei mir dieses Jahr die unverdaulichen Angelegenheiten. Und dabei ging es nicht um den Auszug aus Ägypten, sondern um meinen Auszug von zu Hause.
Als ich meiner Mutter erzählte, ich hätte eine bezahlbare Wohnung in Köln gefunden, antwortete sie traurig: »Wieso denn ausgerechnet jetzt? Ich habe mich doch gerade erst an dich gewöhnt.«
Und so sehr es auch eine unverträgliche Nachricht für sie gewesen sein mag, dass ihre Jüngste nun wirklich und richtig ausziehen würde – ich für meinen Teil musste daraufhin erst einmal verdauen, dass meine eigene Mutter mehr als 20 Jahre gebraucht hatte, um sich an mich – ihre Tochter – zu gewöhnen.
Leicht verletzt antwortete ich also, dass sie mich würde ziehen lassen müssen.
Gan Eden Die Anspielung auf die Pessachgeschichte – den Pharao, der seine jüdischen Sklaven nicht ziehen lassen will – gefiel ihr allerdings gar nicht. Es sei mit uns beiden eher eine umgekehrte Pessachgeschichte gewesen, meinte sie. Statt Sklavenarbeit hätte ich hier im Gan Eden gelebt und sie trotzdem mit einer ewig unausgeräumten Spülmaschine, Tausenden Schuhen im Flur und überall herumliegenden Kleidungsstücken geplagt. Wenn überhaupt also, müsste sie ausziehen, damit es auch nur ansatzweise zur Erzählung passe.
Nach zähen Verhandlungen einigten wir uns, dass ich ohne weitere Plagen das Haus verlassen würde. Dann aber sahen wir eine weitere schwierige Aufgabe auf uns zukommen. Denn wie Moses damals das Rote Meer teilte, mussten wir unsere bisher gemeinsam genutzte und sehr geliebte Schal-Sammlung, die einem Meer aus Stoff gleicht, teilen. Aber wir haben es geschafft, und jetzt gibt es für sie und mich nur noch zwei letzte, schwer verdauliche Angelegenheiten an Pessach: die Mazzot, und dass ich damit noch ein letztes Mal unbesorgt zu Hause herumkrümeln werde.
Manna Außerdem hoffe ich natürlich, dass mein Auszug weniger dramatisch und lang wird, als der, an den wir Tausende Jahre später noch erinnern. Und für die Zeit nach dem Umzug bin ich jetzt schon gefasst auf die Wüste – im Kühlschrank. Mein Äquivalent zu Manna: Nudeln mit Pesto.
Sorgen machte sich meine Mutter schließlich nur noch um meinen zukünftigen Mitbewohner. Ich versuchte, sie zu beruhigen: Wir werden keine Spülmaschine haben, es ist also völlig in Ordnung, Geschirr einfach in die Spüle zu stellen. Es wird auch keine Kaffeemaschine geben, deren letzte Ladung ich trinken könnte, und wenn der Kühlschrank mit mir auch oft leer bleiben wird – ich habe doch jetzt eine tolle Schal-Sammlung zu bieten, die ich mit ihm teilen kann.
Die interessierte meinen zukünftigen Mitbewohner allerdings wenig, als ich ihm dann neulich die Anekdote mit meiner Mutter erzählte. Seine Reaktion: »Fast 22 Jahre hat sie gebraucht?! Wie soll ich es dann mit dir schaffen?«