Finale

Der Rest der Welt

Die Digitalisierung hat sich wie ein Verstärker auf unsere jüdischen Verrücktheiten – Paranoia, Überfürsorglichkeit und Neugierde – ausgewirkt. Foto: Thinkstock

Finale

Der Rest der Welt

Was das Medienverhalten meiner Familie über uns aussagt

von Naomi Bader  15.01.2018 16:09 Uhr

Einige Bekannte berichteten mir zum Wechsel ins neue gojische Jahr von ihrem Vorsatz, weniger Zeit am Smartphone für WhatsApp, Facebook & Co. zu verschwenden und stattdessen wieder mehr Zeit mit der Familie zu verbringen. ­In meiner Familie bedeuten diese zwei Dinge aber keinen Gegensatz. »Was ein Glück«, dachte ich erst, sonst hätte ich doch noch einen Neujahrsvorsatz gefunden.

Aber dann begann ich, den Medienkonsum meiner Familie etwas genauer zu analysieren. Wir sind zwar durch die sozialen Medien tatsächlich näher zusammengerückt: Mehr als 5000 Fotos haben wir seit der Gründung unseres WhatsApp-Familienchats mit dem wunderbaren Namen »Baders lieben Kalorien« ausgetauscht. Die Digitalisierung hat sich allerdings wie ein Verstärker auf unsere jüdischen Verrücktheiten – Paranoia, Überfürsorglichkeit und Neugierde – ausgewirkt.

Urlaubsfotos Paranoia: Bei meiner Mutter heißt es bis heute: Wer sich nicht meldet, dem wird’s schon gut gehen. Ein Sich-Nicht-Melden bedeutet bei meinem jüdischen Vater und seiner Familie dagegen konsequent das Allerschlimmste. So nerven die zehn Urlaubsfotos jede halbe Stunde zwar eigentlich alle, die im kalten Deutschland arbeiten oder lernen müssen – kommt aber mal einen Tag lang nichts, wird aus lauter Sorge wieder nach den ach so tollen Urlaubsfotos gefragt.

Überfürsorglichkeit: Neulich ­beäugte die gesamte Familie meine Blutwerte. Ich hatte meinem Vater ein Foto davon geschickt, der es versehentlich an den Familien-Chat weiterleitete. Zwar waren alle sehr zufrieden mit den Ergebnissen, befürchteten aber, mein Blutdruck könne aus Verärgerung über meinen tollpatschigen Vater gleich bedenklich ansteigen.

Neugierde: Auch mein Opa und ich verbringen dank Internet viel mehr Zeit miteinander. Letztens bat er mich, für ihn eine Krankenschwester aus Israel auf Facebook zu finden oder wenigstens ihre E-Mail-Adresse in Erfahrung zu bringen. »Kennst du sie vom letzten Mal, als du dort warst?«, fragte ich. Er sah mich an wie eine Verrückte. »Nein, ich kenne sie von dem Mal, als ich direkt nach dem Krieg nach Israel kam!« Ach so, natürlich!

Recherche Die einzigen Angaben, die er mir nennen konnte, waren ihr Name und der Ort, in dem sie damals arbeitete. Weder detektivische Anstrengungen mit Freundinnen, um mehr über den Ex-Freund der Nachbarin vom Cousin eines Freundes herauszufinden, noch journalistische Recherchen haben mich auf diese Aufgabe vorbereitet: Ich fand die gesuchte Krankenschwester nicht. Opa war schwer enttäuscht von meinen Stalking Skills: »Du verstehst das Internet wohl doch nicht so gut«, lautete sein hartes Urteil.

Die einzige Person, die sich dem digi­talen Familienwahnsinn erfolgreich ent­­zieht – Familienmitglieder über Facebook meistens nicht befreundet und den WhatsApp-Familien-Chat auch nach erneutem Hinzufügen stets wieder verlässt – ist meine ältere (und offensichtlich weisere) Schwester. So habe ich schließlich ungewollt noch einen Vorsatz fürs neue Jahr gefunden: mir ausnahmsweise doch ein Vorbild an ihr zu nehmen.

Fernsehen

»Persischstunden«: Wie eine erfundene Sprache einen Juden rettet

Das Drama auf Arte erzählt von einem jüdischen Belgier, der im KZ als angeblicher Perser einen SS-Mann in Farsi unterrichten soll. Dabei kann er die Sprache gar nicht

von Michael Ranze  25.04.2025

100 Jahre "Der Prozess"

Was Kafkas »Der Prozess« mit KI und Behörden-Wirrwarr gemeinsam hat

Seine Liebesworte gehen auf TikTok viral. Unheimlich-groteske Szenen beschrieb er wie kein Zweiter. In Zeiten von KI und überbordender Bürokratie wirkt Franz Kafkas Werk aktueller denn je - eben kafkaesk

von Paula Konersmann  25.04.2025

Reykjavik

Island fordert Ausschluss Israels vom ESC

Das Land schließt sich damit der Forderung Sloweniens und Spaniens an. Ein tatsächlicher Ausschluss Israels gilt jedoch als unwahrscheinlich

 25.04.2025

Popkultur

Israelfeindliche Band Kneecap von zwei Festivals ausgeladen

Bei Auftritten verbreiten die irischen Rapper Parolen wie »Fuck Israel«. Nun zogen die Festivals Hurricane und Southside Konsequenzen

von Imanuel Marcus  25.04.2025

Berlin/Brandenburg

Filmreihe zu Antisemitismus beim Jüdischen Filmfestival

Das Festival läuft vom 6. bis 11. Mai

 25.04.2025

Fernsehen

Ungeschminkte Innenansichten in den NS-Alltag

Lange lag der Fokus der NS-Aufarbeitung auf den Intensivtätern in Staat und Militär. Doch auch viele einfache Menschen folgten der Nazi-Ideologie teils begeistert, wie eine vierteilige ARD-Dokureihe eindrucksvoll zeigt

von Manfred Riepe  24.04.2025

Meinung

Nur scheinbar ausgewogen

Die Berichte der Öffentlich-Rechtlichen über den Nahostkonflikt wie die von Sophie von der Tann sind oft einseitig und befördern ein falsches Bild von Israel

von Sarah Maria Sander  24.04.2025

Imanuels Interpreten (8)

Carly Simon: Das Phänomen

Die Sängerin und Songschreiberin mit jüdisch-deutschem Familienhintergrund führt ein aufregendes, filmreifes Leben – Verbindungen zu einer singenden Katze, einem rollenden Stein, zu Albert Einstein und James Bond inklusive

von Imanuel Marcus  24.04.2025

Geheimnisse & Geständnisse

Plotkes

Klatsch und Tratsch aus der jüdischen Welt

von Imanuel Marcus  24.04.2025