»Deinen Mann, den kenne ich schon seit seiner Geburt. Er ist ein Goldstück. Er ist nicht nur schön und klug, er ist auch gut! Ein Herz aus Gold, jaja«, zwitschert die moppelige, in Nerz gehüllte Person mit den vielen Klunkern und schüttelt mich so herzlich, dass mir beinahe die Kontaktlinsen aufs Straßenpflaster fallen. »Wer ist das denn?«, zische ich meinem Mann Alain unauffällig zwischen zusammengepressten Zähnen zu.
Diese Technik habe ich perfektioniert, seit wir in Antwerpen wohnen und ich alle Nase lang von wildfremden Jidden auf der Straße angequatscht werde. »Das ist Frau Plutschnik-Steinreich, eine alte Freundin meiner Eltern«, meint er und streicht sich selbstgefällig durch die Frisur. »Diese Antwerpener Omas sind ja alle ganz verrückt nach dir«, zische ich wütend hinterher »und wo bleibe ich? Wer sagt mir endlich mal, ich sei bildhübsch, hochintelligent und äußerst talentiert?« »Deine Mutter, die sagt das doch fast täglich«, erwidert Alain und schüttet sich beinahe aus vor Lachen. Gemein!
Sägewerk Ja, es stimmt, dass ich in letzter Zeit ein klein wenig zur Moppeligkeit neige, dass meine T-Shirts vorne herum etwas spannen und dass Alain seit Neustem nachts Ohrenstöpsel braucht weil ich angeblich schnarche wie ein Sägewerk. Kurz, es steht gar nicht gut um mein Ego! »Tja, Margalit, der Lack ist ab«, subsumierte mein Chef neulich grinsend, »das sage ich meiner Frau auch immer.«
Das war zu viel. Mit der Frau des Chefs verglichen zu werden, diesem in Blümchenstoff verpackten abgewrackten Schlachtschiff. Fazit: Ich muss dringend mal raus. Irgendwohin, wo man meine mannigfaltigen Tugenden zu schätzen weiß. Wo man meine Sommersprossen und meine Speckfältchen niedlich findet und trotz meines lachhaften Bürojobs immer noch auf meinen großen Durchbruch als literarisches Genie wartet. Jawohl, wir fahren zu meinen Eltern aufs Land!
Die drei verwöhnten Gören nehmen wir mit, dann kann Omi sie mal richtig an die Kandare nehmen, und Opi zeigt ihnen, was eine Harke ist. Wer ist denn schließlich schuld daran, dass ich total aus dem Leim gegangen bin, dass ich nachts nicht mehr schlafe und Augenringe habe, dass ich nicht mehr ins Fitnesscenter gehe, weil ich nonstop die kleinen Edelsteins zu ihren diversen Freizeitvergnügungen kutschieren muss? Eben. Und so kommt’s dann auch.
Semmelbrösel Schon einige Tage später fläze ich mich, selig summend, im Liegestuhl auf der elterlichen Terrasse, während Alain schon zum vierten Mal diese Woche zum Geschirrspülen abkommandiert wurde, und Kinder eins bis drei endlich lernen, wie man richtig Schuhe putzt. All das unter den Argusaugen von Opi. »Magst du eigentlich Semmelbrösel auf deine Marillenknödel, Süßilein?«, flötet Omi aus der Küche herüber. Ja, mag ich, bitte eine Dreifachportion! Ich lasse glücklich seufzend meinen Ferienschmöker aus der Hand gleiten – »Reich, schön und gertenschlank in 30 Tagen!« – und sinke in einen seligen Schlummer, von süßesten Träumen begleitet.
Ich sehe mich zu den Hohen Feiertagen in der Antwerpener Van den Nest Synagoge. In einem todschicken Chanel-Kostüm in Größe 36 auf dem teuersten Sitzplatz der Frauenempore mit direktem Blick auf den Synagogenchor, wo Alain, ein Bariton, mich mit schmachtenden Blicken beobachtet. Wenn ihr wollt, ist es kein Traum! Und morgen beginne ich mit dieser neuen Weight-Watchers-Diät.