Single zu sein, ist wichtig! Bei diesem Satz denken viele erst mal an die Selbstfindungsgründe, mit denen die »Huffington Post« Single-Frauen ein gutes Gefühl geben will. Aber es geht nicht ums Alleine-glücklich-Werden oder emanzipiertes Selbst-Klarkommen. Nein. Es geht um Pädagogik! Zu dieser Einsicht bin ich in der Oper gelangt.
Kulturveranstaltungen mit meinem Vater und seiner Frau zu besuchen, hat Vorteile: Papa zahlt die Karten und meine russisch-jüdische Stiefmutter das obligatorische Gläschen Wein davor. Schwierig kann es nur bei der Auswahl des Stückes werden. Zumindest für jüdische Familien sollte es zu Anatevka eine Trigger-Warnung geben, denn unangenehme Gespräche zu Partnerwahl und baldiger Heirat sind unumgänglich.
Aber an diese Problematik erinnerte ich mich erst kurz bevor wir unsere Plätze einnahmen. Ich war mir sicher: Zwischen meinem Vater und meiner Stiefmama sitzend, würde sich der Theatersaal noch während der ersten Szene in eine Hölle verwandeln. Und so kam es.
Revolutionär Als Tuvias älteste Tochter Zeitel ihr Match, den Metzger, ablehnt und stattdessen den armen Schneider Mottel heiraten möchte, flüsterte mein Vater großzügig von rechts: »Du darfst dich auch in einen armen Mann verlieben.« Und meine Stiefmutter ergänzte von links: »Und ein Schneider, das kann ganz nützlich sein.« Als die zweitälteste Tochter Hodel sich in den Studenten Perchick verliebt und ihm nach Sibirien folgt, kommt es gönnerhaft von rechts: »Von mir aus wäre auch ein Revolutionär in Ordnung.« Und nach kurzem Zögern: »... na ja, und ein Lehrer auch.« Von links: »Nur bitte nicht nach Sibirien!«
Als die dritte Tochter sich schließlich in den russischen Soldaten Fedja verliebt, flüstert es von rechts: »Du darfst dich auch in einen Soldaten verlieben.« Und dann scherzhaft: »Auch in einen Russen!« Von links gibt es dazu keinen Kommentar mehr. Mein Vater ist also schon so verzweifelt über mein Single-Dasein, dass ich an nur einem Abend die Erlaubnis erhalte, einen Armen, einen Studenten, einen Marxisten und einen Russen zu heiraten.
Zum Glück hat der arme Mann, anders als Tuvia, nur zwei Töchter. Für mich war es trotz aller Unannehmlichkeiten ein erfolgreicher Abend – und das ist doch sehr typisch in der Pädagogik. Ausharren – und das hohe, noch unverheiratete Alter erzieht die Familie dann wie von selbst zu toleranten und weltoffenen Menschen.
Schätzchen Sogar meine Großeltern werden, mit zunehmender Verzweiflung, ganz schön großzügig. Kürzlich gab meine Oma bekannt: »Schätzchen, du dürftest auch eine Frau mitbringen.« Auch mein Opa ist verdächtig ungeduldig, eine gute Freundin von mir kennenzulernen. »Lad’ sie gern mal ein«, sagt er mir ab und an mit einem Zwinkern.
Den wirklich hilfreichsten Dating-Tipp hat mir übrigens neulich meine älteste Freundin, sie ist 94, aus Israel gegeben: »Guck, dass er ›a Mentsch‹ ist. Und triff dich mehrmals mit ihm. Nicht nur im Bett.«
Jetzt suche ich einfach nach einem »Mentschen«, und wenn ich noch etwas warte, darf es vielleicht sogar ein muslimischer Bundeswehrsoldat sein, der in seiner Freizeit gerne Kleider schneidert, einen marxistischen Lesekreis leitet und irgendwann einmal mit mir nach Sibirien reisen wird.