Man sollte es in einer jüdischen Zeitung ja lieber verschweigen, aber es gibt in unseren Breitengraden Gelegenheiten, bei denen praktizierende Juden (die heidnische und christliche Bräuche standhaft ignorieren) nicht benachteiligt, sondern ausgesprochen privilegiert sind.
Suchen Sie an diesem Freitag in Schöneberg einen Karneval-Kultladen auf, dann wissen Sie, wovon ich spreche: Vorletztes Wochenende hatte das Geschäft schon mittags wegen Überfüllung geschlossen, weil ganz Berlin auf der Suche nach Faschingskostümen für Schulkinder war.
hexenhüte Unsere nichtjüdischen Mitbürger (sowie mein Sohn und ich) mussten eine Dreiviertelstunde vor der Ladentür warten, um in Zweier- beziehungsweise Vierergruppen eingelassen zu werden und uns zwischen Hexenhüten, Königskronen und Vampirgebissen gegenseitig auf die Zehen zu treten.
Es hat sich gelohnt: Mein Siebenjähriger hat beim Schulfasching als Zirkusdirektor mit Frack und Fliege eine Topfigur gemacht. In der Schöneberger Hauptstraße herrscht jetzt wieder Normalbetrieb – eine prima Gelegenheit für jüdische Großfamilien (in Deutschland heißt das: mehr als zwei Kinder), sich last minute und stressfrei für das Purim-Wochenende einzudecken. Wenn Sie Glück haben, sind die Gorillamasken noch da. Vielleicht gibt es sogar Rabatt, wenn Sie fünf Stück auf einmal nehmen!
Natürlich sollten wir Juden uns nicht einfach so zum Affen machen, sondern nur, um den großen Sieg über Haman zu feiern. Allerdings hat die Teilhabe an der Kultur der Umwelt auch ihre Vorteile: Mein Sohn hat sein Kostüm bereits ausprobiert, wenn er die Purim-Party der Jüdischen Gemeinde entert, und weiß genau, wie man Tiger, Löwen und Gorillas im Griff hat. Mich dagegen quält ein großes Purim-Defizit: Noch nie war ich als Migräne-Anfällige fähig, so viel zu trinken, dass ich Haman und Mordechai verwechselt hätte – was auf Partys mit kostümierten männlichen Gästen aber Vorteile hat.
champagner Was mir da gerade einfällt: Sara Netanjahu hat zwei Wochen vor Purim mitteilen lassen, sie sei – entgegen den Behauptungen eines Ex-Hausmeisters in der Jerusalemer Regierungsresidenz – allein wegen ihrer Größe und ihres Körpergewichts nicht in der Lage, pro Tag drei Flaschen Champagner zu trinken. Drei Flaschen! Ich wäre dankbar, könnte ich zweieinhalb Gläser vertragen!
Außerdem habe ich noch ein Purim-Problem: Ich habe meinen Schöneberger Hexenhut noch nie außerhalb unserer Wohnung getragen. Im Büro wollte ich mich an Faschingsdienstag nicht alleine verkleiden, nachdem der einzige praktizierende Karnevalsfan sich trotz flehentlicher Bitten geweigert hatte, sein streng geheimes Kostüm zu präsentieren. Ich werde also nicht in Übung sein, wenn ich mit spinnwebengeschmücktem Hut und Besen bei der Purim-Party mit den »Jewish Monkeys« auflaufe. Aber wer hat schon Angst vor einer jüdischen Amateurhexe? So macht Purim keinen Spaß! Vielleicht sollte ich mir doch lieber eine Gorillamaske holen?