Finale

Der Rest der Welt

Eigentlich sollte ich Karneval lieben, ich bin in der dritten Generation in Köln geboren, dort aufgewachsen und zur Schule gegangen, musste Kölsch lernen, um mit unserem Nachbarn kommunizieren zu können, und 0,2 Liter sind die perfekte Menge Bier für mich. Doch alle Bemühungen, mich in der Stadt kulturell – sofern Karneval überhaupt in diese Kategorie fällt – zu sozialisieren, sind gescheitert.

Keine größere Überraschung bei einer Stadt, die weder U-Bahn-, Opern- oder Theaterbau, geschweige denn die korrekte Beschriftung von Wahlzetteln meistert. Ich bin der Brauchtumsweitergabe einfach entwischt. So ist der Karneval jedes Jahr aufs Neue eine Qual. Und ich bin nicht die Einzige! Karnevalsflüchtige verlassen jährlich die Stadt und kommen erst am Aschermittwoch wieder, denn: »Am Aschermittwoch ist alles vorbei«, sagen die Kölner. Die Touristen sollen wieder fahren und die guten katholischen Kölner fromm ihre christliche Fastenzeit beginnen. Großes Aufatmen also.

Jecken Nur für uns Juden nicht, denn der Aschermittwoch läutet bloß die Halbzeitpause ein. Wir, das auserwählte Volk, müssen im März erneut in Kostüme schlüpfen und uns so sehr betrinken, dass wir Gut und Böse nicht mehr voneinander unterscheiden können. Für uns 100-prozentige Jecken, also solche, die zum einen aus der Jecken-Stadt Köln kommen und schließlich auch Jecken, also deutsche Juden, sind, ist das jedes Jahr aufs Neue eine schwere Prüfung – für Körper und Geist.

Der viele Alkohol, gemischt mit den Kamellen und Hamantaschen, liegt schwer in unseren sensiblen Mägen. Aber auch mental ist das Ganze eine Herausforderung: Gestern war man noch – kölsche Karnevalslieder singend – Pirat, Hexe oder Indianer. Und morgen schon soll man verkleidet als Prinzessin Esther trillernd Hamans Namen übertönen.

Wir ertragen viel, aber irgendwann ist Schluss: Liebes Karneval-Festkomitee, liebe Rabbinerversammlung, wir sind Brüder im Zelebrieren. Warum legen wir Karneval und Purim nicht zusammen? Letztendlich sind die Feste gar nicht so unterschiedlich. In der Praxis ist das offensichtlich: verkleiden und trinken! Da finden wir doch zueinander.

Weltoffenheit Außerdem: Sowohl wir Kölner als auch wir Juden feiern den Sieg über das Böse. Die Juden über den hinterlistigen Haman und die Kölner über alle, die nicht offen zu »Jeder Jeck ist anders« stehen. Und Köln kam gerade zuletzt in negative Schlagzeilen, als die Polizei Flüchtlinge bat, dem toleranten und bunten Karnevalstreiben fernzubleiben. Wirklich alle wären also glücklich, wenn die Kölner mit uns Juden zusammen feierten: die, die nach Weltoffenheit schreien, und auch die, die sich um das christlich-jüdische Abendland sorgen.

Einziges Problem wäre da vielleicht die Terminwahl: Aber ganz ehrlich, eine Stadt, die darüber nachdenkt, ihr traditionsreichstes Fest einfach in den Sommer zu verlegen, damit die Röcke noch ein bisschen kürzer und das Bier noch etwas kälter sein können, die kann sich auch nach uns richten. Ich sehe es schon vor mir: der Rabbiner als Prinz im Dreigestirn, die jüdischen Mames Bonbon werfend auf dem Festwagen und ich – so oder so – lieber ganz weit weg.

Fernsehen

»Persischstunden«: Wie eine erfundene Sprache einen Juden rettet

Das Drama auf Arte erzählt von einem jüdischen Belgier, der im KZ als angeblicher Perser einen SS-Mann in Farsi unterrichten soll. Dabei kann er die Sprache gar nicht

von Michael Ranze  25.04.2025

100 Jahre "Der Prozess"

Was Kafkas »Der Prozess« mit KI und Behörden-Wirrwarr gemeinsam hat

Seine Liebesworte gehen auf TikTok viral. Unheimlich-groteske Szenen beschrieb er wie kein Zweiter. In Zeiten von KI und überbordender Bürokratie wirkt Franz Kafkas Werk aktueller denn je - eben kafkaesk

von Paula Konersmann  25.04.2025

Reykjavik

Island fordert Ausschluss Israels vom ESC

Das Land schließt sich damit der Forderung Sloweniens und Spaniens an. Ein tatsächlicher Ausschluss Israels gilt jedoch als unwahrscheinlich

 25.04.2025

Popkultur

Israelfeindliche Band Kneecap von zwei Festivals ausgeladen

Bei Auftritten verbreiten die irischen Rapper Parolen wie »Fuck Israel«. Nun zogen die Festivals Hurricane und Southside Konsequenzen

von Imanuel Marcus  25.04.2025

Berlin/Brandenburg

Filmreihe zu Antisemitismus beim Jüdischen Filmfestival

Das Festival läuft vom 6. bis 11. Mai

 25.04.2025

Fernsehen

Ungeschminkte Innenansichten in den NS-Alltag

Lange lag der Fokus der NS-Aufarbeitung auf den Intensivtätern in Staat und Militär. Doch auch viele einfache Menschen folgten der Nazi-Ideologie teils begeistert, wie eine vierteilige ARD-Dokureihe eindrucksvoll zeigt

von Manfred Riepe  24.04.2025

Meinung

Nur scheinbar ausgewogen

Die Berichte der Öffentlich-Rechtlichen über den Nahostkonflikt wie die von Sophie von der Tann sind oft einseitig und befördern ein falsches Bild von Israel

von Sarah Maria Sander  24.04.2025

Imanuels Interpreten (8)

Carly Simon: Das Phänomen

Die Sängerin und Songschreiberin mit jüdisch-deutschem Familienhintergrund führt ein aufregendes, filmreifes Leben – Verbindungen zu einer singenden Katze, einem rollenden Stein, zu Albert Einstein und James Bond inklusive

von Imanuel Marcus  24.04.2025

Geheimnisse & Geständnisse

Plotkes

Klatsch und Tratsch aus der jüdischen Welt

von Imanuel Marcus  24.04.2025