Finale

Der Rest der Welt

Seitdem wir nach Israel gezogen sind, denken meine Frau und ich erstaunlich selten an unser altes Leben zurück. Vor unserer Alija hatten wir immer wieder gerätselt, was uns an Berlin fehlen würde. Hier in einem Moschaw in Israel angekommen, haben wir eigentlich gar keine Zeit dafür.

Trotzdem erwischt es mich manchmal. Erst Kürzlich, genauer gesagt vor Tu Bischwat, war plötzlich wieder so ein Moment. Während nämlich meine Kinder gemeinsam mit den Nachbarskindern – die übrigens fast jeden Tag zu uns herübergelaufen kommen – eifrig Blumen und allerlei Grünzeug im sonnigen Garten pflanzten, erzählte meine älteste Tochter aufgeregt vom Schulausflug zum Bäumepflanzen in den Wald.

Familie Inmitten der Kindergeräusch-Kulisse, musste ich an unser letztes, leises und kaltes Tu Bischwat im winterlichen Berlin denken. Denn der Kontrast zwischen dem pulsierenden Leben hier im Moschaw und unserem – eher privaterem und einsameren – Dasein in Berlin offenbarte sich immer dann am meisten. Natürlich liegt das auch daran, dass wir hier mit einer großen Familie gesegnet sind. Trotzdem ist die Besucherliste an einem durchschnittlichen israelischen Nachmittag länger, als die der Besucher, die wir in einem ganzen Monat – oder war es doch ein kompletter Winter? – in unserer Berliner Wohnung hatten.

So schaute neulich auch mein Schwiegervater mit einem Freund und einem hübschen Zitronenbäumchen für unseren Garten vorbei. Während die Kinder und Nachbarskinder im Grünen herumtollten, kam dann auch noch eine Freundin meiner Frau samt ihrer drei Kinder auf einen spontanen Nachmittagskaffee zu uns. Und wenig später lieferte eine andere Nachbarin eine wiederum weitere Freundin meiner jüngeren Tochter bei uns ab. Weil das alles noch unter einem ruhigen Nachmittag abgetan werden könnte, klopfte es abermals an der Tür: die Kinder aus der Nachbarschaft wollten sich mit frisch gepflückten Orangen ein kleines Taschengeld verdienen.

Lehrling Dann kam unangekündigt der befreundete Elektriker, der versprochen hatte, einige alte Steckdosen zu erneuern, mit seinem Lehrling. Irgendwann bemerkte ich auch noch, wie der jüngere Bruder meiner Frau in unserer Küche lautstark telefonierte. Wann war er eigentlich hereingekommen? Was also als spontaner Nachmittagskaffee anfing, mündete in ein Abendessen, zu dem sich dann auch der Mann der besten Freundin und die Mutter der anderen Nachbarstochter gesellten.

Ich wusste ja schon von früheren Israel-Besuchen, dass die Menschen hier viel sozialer sind. Die kalte Erinnerung an das Berliner Tu Bischwat, bei dem unsere Kinder zwar auch Blümchen aus dem Kindergarten brachten, diese aber wegen erheblicher Minusgrade ihr Dasein eher als Eisblumen fristeten, wärmte deshalb mein Neueinwanderer-Herz.

Und auch der Gedanke, dass irgendwo im kalten Berlin gerade mal wieder eine Grippewelle herrschte, in der Kita Scharlach-Alarm ausgelöst wurde oder sich jemand morgens in der S-Bahn beim Niesen nicht die Hand vor dem Mund hielt, ließ, zumindest bei mir, Frühlingsstimmung aufkommen.

Stille Zugegeben: Wir sitzen mindestens zu zehnt am Tisch. Es ist nie wirklich still, und meiner Frau die alltäglichen Besuchermassen vorzuzählen, habe ich mir schnell wieder abgewöhnt.

Aber wenn ich Ihnen sage, dass am Donnerstag in Israel 20 Grad erwartet werden, dass ich vielleicht zu meinen Nachbarn auf einen spontanen Kaffee gehen werde und die sich nicht beklagen, weil ich eventuell mit der ganzen Familie und dem befreundeten Elektriker und dessen Lehrling komme, dann ist diese Stadt mit den S-Bahnen – wie hieß sie noch gleich? Ach, na Sie wissen schon – ganz weit weg.

Programm

Termine und TV-Tipps

Termine und Tipps für den Zeitraum vom 20. Februar bis zum 27. Februar

 21.02.2025

Berlinale

»Das verdient kein öffentliches Geld«

Der Berliner CDU-Fraktionschef Dirk Stettner hat seine Karte für die Abschlussgala zerrissen – und will die Förderung für das Filmfestival streichen

von Ayala Goldmann  21.02.2025

Bayern

NS-Raubkunst: Zentralrat fordert schnelle Aufklärung

Der Zentralrat der Juden verlangt von den Verantwortlichen im Freistaat, die in der »Süddeutschen Zeitung« erhobenen Vorwürfe schnell zu klären

 20.02.2025

Kolumne

Unentschlossen vor der Wahl? Sie sind in guter Gesellschaft – mit Maimonides

Der jüdische Weise befasste sich mit der Frage: Sollten wir als Kopfmenschen mit all unserem Wissen auch bei Lebensentscheidendem dem Instinkt vertrauen?

von Maria Ossowski  20.02.2025

Berlin

Eine krasse Show hinlegen

Noah Levi trat beim deutschen Vorentscheid für den Eurovision Song Contest an. In die nächste Runde kam er nicht, seinen Weg geht er trotzdem

von Helmut Kuhn  20.02.2025

NS-Unrecht

Jüdische Erben: »Bayern hat uns betrogen« - Claims Conference spricht von »Vertrauensbruch«

Laut »Süddeutscher Zeitung« ist der Freistaat im Besitz von 200 eindeutig als NS-Raubkunst identifizierten Kunstwerken, hat dies der Öffentlichkeit aber jahrelang verheimlicht

von Michael Thaidigsmann  20.02.2025

Literatur

»Die Mazze-Packung kreiste wie ein Joint«

Jakob Heins neuer Roman handelt von einer berauschenden Idee in der DDR. Ein Gespräch über Cannabis, schreibende Ärzte und jüdischen Schinken

von Katrin Richter  20.02.2025

Berlinale

Auseinandergerissen

Sternstunde des Kinos: Eine Doku widmet sich David Cunio, der am 7. Oktober 2023 nach Gaza entführt wurde, und seinem Zwillingsbruder Eitan, der in Israel auf ihn wartet

von Ayala Goldmann, Katrin Richter  19.02.2025

Berlin

»Sind enttäuscht« - Berlinale äußert sich zu Antisemitismus-Skandal

»Beiträge, die das Existenzrecht Israels infrage stellen, überschreiten in Deutschland und auf der Berlinale eine rote Linie«, heißt es in einer Erklärung des Festivals

von Imanuel Marcus  19.02.2025