Ich bin die Königin der Vorsätze und To-Do-Listen. Silvester krame ich die Liste des fast vergangenen Jahres hervor, nehme meine Brille und überprüfe den Stand der Dinge. »Dreimal wöchentlich joggen« steht da, und: »Drei Kilo abnehmen, nicht mehr fluchen«. Hm. Ich mache eine neue Liste, schreibe fein säuberlich in die obere linke Ecke 2017 und darunter: »Zweimal wöchentlich joggen, zwei Kilo abnehmen, ›fuck‹ sagen ist erlaubt, siehe Präsidentenwahl in den USA«.
Man muss gnädig mit sich umgehen, sich nicht überfordern, sage ich mir weise. Ziele setzen, die man auch wirklich erreichen kann.
Und ich muss meine Energien zusammenhalten, denn einfacher werden die Zeiten nicht. Die anhaltenden Attentate machen das alltägliche Leben zu einer Mission in Sachen Verdrängung und Überlebenswille. Spazieren gehen auf meinem geliebten Ku’damm ist zu einer Mutfrage geworden, täglich die Tagesschau zu sehen, eine Herausforderung. Syrien, die Türkei – ein Trauerspiel.
David Bowie Die AfD bekloppter denn je. Von den USA ganz zu schweigen. Dazu sind 2016 noch meine Idole, Prince und David Bowie, gestorben. Bis zu einer ausgereiften Depression ist es nicht mehr weit.
Aber genau hier bin ich 2017 gefragt, frei nach des ollen Fassbinders Motto: »Angst essen Seele auf!« Der Aufenthalt in einer privaten Depressionsklinik fällt für mich schon allein aus finanziellen Gründen aus, da muss ich wohl selbst ran. Also heißt meine Devise: »Jetzt erst recht!« Ich diskutiere mit dem Taxifahrer, was Erdogan sich denn so dabei denkt, lade meinen syrischen Opernsänger zum Essen ein und versuche, ihn zu trösten: Seine Familie ist noch dort.
Ein Stipendium im Frühling am Bosporus werde ich annehmen, es ist nie zu spät, Jude zwischen Muslimen zu sein. Ich nehme alle Diskussionsrunden in TV, Radio oder Bibliotheken an, die mir angeboten werden. Vielleicht lässt sich doch der eine oder andere durch meine Energie zu einer positiveren Sicht umstimmen, wie gesagt: »Jetzt erst recht!«
Kaffee Und jetzt in der ersten Januarwoche werde ich meine schöne 97-jährige Tante unterhaken und mit ihr über den Breitscheidplatz spazieren. Erst werden wir einen Stein hinlegen für all die Toten, dann werden wir einen Kaffee trinken, um uns für das restliche Jahr zu stärken.
Tantchen hat die Schoa überlebt, sie hat einige Tote zu vermelden, dennoch ist ihr Blick in die Zukunft kämpferisch, liebevoll und nicht ohne Humor.
Ich werde also mit den paar überflüssigen Pfunden leben müssen, das Joggen auf ein Mindestmaß minimieren, dafür maximal dabei fluchen. Die ganze restliche Energie brauche ich, um 2017 die Stirn zu bieten.