Die dunkle Jahreszeit hat begonnen, der Feiertagsmarathon liegt hinter uns, doch für Christen fangen die »Jamim Noraim« erst richtig an. Und es kommt knüppeldick: Die Feiern zum Beginn des 500. Reformationsjahres fallen mit Halloween zusammen. Für die Nacht haben anonyme Grusel-Clowns eine bundesweite »Säuberung« angekündigt. Ist der Spuk überstanden und der Hype um die Clowns wieder abgeklungen, folgen Allerseelen und Totensonntag. Am 27. November ist erster Advent: Startschuss für Weihnachtsstress und Geschenketerror.
Da haben wir es doch eindeutig besser. Während im jüdischen Feiertagsmonat Tischri oft die Sonne schien und ich nichts auszustehen hatte – außer langen Gebeten, einer Überdosis an Honigkuchen und einer Erkältung, die in der Laubhütte nicht besser wurde (zum Glück gab es auch eine Sukka mit Plastikdach, Sitzheizung und Kronleuchter!), stehen unsere christlichen Mitbürger vor zwei stressigen und dunklen Wintermonaten.
Einkehr Und wie wir von Jom Kippur wissen, sind »stille« Feiertage oft die anstrengendsten: Besinnlichkeit und innere Einkehr lassen sich nicht auf Knopfdruck herbeibefehlen. Besonders nicht, wenn die Sommerzeit offiziell beendet ist und die Tage immer kürzer werden.
Mancher kommt in dieser trüben Jahreszeit auf seltsame Ideen. Auf Facebook hat eine jüdische Kollegin von einer Anfrage per E-Mail berichtet. »Schreibt einer: ›Ich suche nach einem alten jüdischen Grabstein, der einen Platz irgendwo in meinem Garten haben soll.‹ Ob wir ihm einen Friedhof empfehlen könnten, wo er sich einen holen könnte.«
Was sich der Mann wohl dabei gedacht hat? Wollte er eine neue Gedenkkultur etablieren und die örtliche Veranstaltung zu den Novemberpogromen in seinen Privatgarten verlegen? Angeblich soll er auch versucht haben, an christliche und muslimische Grabsteine heranzukommen. Einige Juden haben schon versucht, ihm klarzumachen, dass Grabsteindiebstahl verboten ist – offenbar vergeblich. Auch der gut gemeinte Hinweis auf Facebook: »Wenn du den Grabstein haben willst, musst du auch die Skelette umbetten!« hat wohl nicht gefruchtet.
Schokolade Gräber, Skelette, November … vielleicht leidet der Mann an einer Winterdepression? Dagegen hilft keine Grabsteinsammlung im Garten. Vielmehr empfehlen Ärzte eine Lichttherapie mit 10.000 Lux (mindestens 30 Minuten am Tag) und massive Kalorienzufuhr in Form von Schokolade oder Zucker, um den Serotoninspiegel zu heben.
Mit anderen Worten: Der Patient soll Chanukka feiern! Nun muss sich nur noch ein dialog-affiner Jude finden, der den Depressiven zum Lichterfest einlädt, ihn am Kerzenzünden teilhaben lässt und acht Tage lang mit Latkes und Sufganiot füttert. Das ist doch eine echte Mizwe: Sie persönlich können den Diebstahl eines jüdischen Grabsteins verhindern. Schreiben Sie eine E-Mail! Wir leiten Ihre Zuschrift sofort weiter!