Erinnern Sie sich noch an das Sommerloch? An die wundervolle nachrichtenarme Zeit im August, in der überall in Deutschland Krokodile in Badeseen gesichtet wurden – Imitate des Kaimans Sammy aus Dormagen, »der Bestie im Baggersee«, die ihrem Besitzer 1994 entwischt war? Denken auch Sie mit Wehmut an Braunbär JJ1 alias Bruno zurück, der von der Bayerischen Staatsregierung als »Problembär« eingestuft wurde, weil er im Sommer 2006 im bayerisch-österreichischen Grenzgebiet Schafe riss und angeblich Menschen bedrohte? Das waren Zeiten!
Dieses Jahr gibt es kein Sommerloch. Im Gegenteil, man mag das Radio morgens gar nicht mehr aufdrehen – jeden Tag eine neue Schreckenstat. Kriege, Fanatiker,Verrückte mit Messern und Äxten, wer will das alles noch hören?
Ich habe zum Glück Urlaub. Und weil es nichts nützt, sich die westdeutsche Insel der Seligen zurückzuwünschen, haben wir uns für eine Reise an die Ostsee entschieden. Offenbar liegen wir total im Trend: Türkeireisen sind out, die Deutschen zieht es nach Mecklenburg-Vorpommern. Mehr als 90 Prozent aller Unterkünfte sollen schon ausgebucht sein. Wir haben trotzdem eine kleine Ferienwohnung ergattert. Mal sehen, ob am Strand noch Platz frei ist, oder ob die Germanen so dicht Handtuch an Handtuch liegen, dass wir das Wasser nur aus der Ferne sehen.
Internet Egal, an der See werde ich nur das Meeresrauschen an meine Ohren heranlassen, aber kein Radio und kein Internet. Ich will nichts von Anschlägen, aber auch nichts über Briefwahlen hören. Sollen doch alle machen, was sie wollen! Ich will Romane und Krimis lesen, aber nichts über Geschichte oder Politik.
Das letzte Sachbuch, das ich mir angetan habe, war der Klassiker, der allen jüdischen Ostseereisenden in die Hände fällt: Der Bäder-Antisemitismus von Frank Bajohr. Wie wir ja hinlänglich wissen, wurden Juden aus einigen der schicken Ostseebäder in den 20er- und 30er-Jahren systematisch rausgeekelt, vor allem auf Usedom: »Und wer da naht vom Stamm Manasse / ist nicht begehrt, / Dem sei’s verwehrt. / Wir mögen keine fremde Rasse! / Fern bleibt der Itz / von Zinnowitz.«, hieß es im notorischen Zinnowitzlied.
Aber wer will schon nach Usedom? Wer so reif ist für die Insel wie ich, der fährt halt auf die Nachbarinsel Rügen. Dort müsste man sich an Wäldern und Kreidefelsen erfreuen und den Rest der Welt ignorieren können. Unsere Unterkunft liegt in einem winzigen Dorf, wo es Schafe und Kühe geben soll. Vielleicht sogar Krokodile, wie in einem echten Sommerloch? Das Nachbardorf heißt übrigens Groß-Zicker. Darauf reimt sich gar nichts. Jedenfalls nichts, was nach Zinnowitz klingt.
Und wer mir jetzt mit Umfrageergebnissen für die Landtagswahl in Meck-Pomm kommt, der wird erleben, wozu eine Problembärin im Urlaub in der Lage ist!