Seit einiger Zeit hängt in unserer kleinen, aber feinen Schule der Haussegen schief: Immer mehr Leute machen Alija, und das hat eine Art Domino-Effekt: Die Klassen werden kleiner, ab nächstem Jahr werden erstmalig unterschiedliche Schulklassen zusammengelegt, also die erste mit der zweiten, die dritte mit der vierten.
Ich weiß nicht, ob das überhaupt gut gehen kann. Wahrscheinlich eher nicht. Viele Eltern nehmen deswegen ihre Kinder aus der Schule. Man munkelt, dass einige wichtige Sponsoren der Schule nun auch den Geldhahn zugedreht haben. Der Schuldirektor hat kurz vor Ende des Schuljahres einfach alles hingeschmissen und macht jetzt ein soziales Jahr in Afrika. Der Schulrabbiner hat gekündigt und arbeitet jetzt im Cheder bei Chabad. Die Ratten verlassen das sinkende Schiff, würde ich mal sagen. Der Countdown läuft: Ich gebe der Schule noch maximal drei bis vier Jahre.
Haifischbecken Und was wird aus uns? Ich müsste meine Kinder wahrscheinlich in der anderen, größeren Schule einschreiben, der Salomon-Schule, die nicht religiös ist. Freunde von mir beschreiben diese Schule als eine Art Haifischbecken: Bandenkriege auf dem Schulhof. Die meisten Schüler gehen mit 15 oder 16 Jahren ab und übernehmen, die mehr oder weniger schmierigen Geschäfte ihrer Eltern. Aber ob das wirklich wahr ist? Andere Eltern schwärmen von den fortschrittlichen Lehrmethoden und dem sehr viel höheren Unterrichtsniveau der Schule.
Also was tun? Wird meine Tochter in Zukunft einen Freundeskreis haben, der samstags shoppen und ins Kino geht, während wir zusehends verbissen darum kämpfen werden, dass sie zur Synagoge geht? Nur wenige ihrer neuen Freundinnen werden zu Hause koscheres Essen anbieten können. Fast niemand wohnt im jüdischen Viertel. Die meisten leben stattdessen in schicken Vororten, die am Schabbat zu Fuß unerreichbar sind. Natürlich geht niemand von der Salomon-Schule zur den religiösen Bnei Akiva, die den meisten einfach nicht cool genug sind.
Gut, dass meine Tochter gerade im Ferienlager weilt und nicht mitbekommt, wie ich mich wegen dieser ganzen Probleme langsam in einen einzigen Stressfaktor verwandele: Nägelkauen, gesteigerter Süßigkeitenkonsum und spontane Wutausbrüche sind an der Tagesordnung. Und dann ist meine wunderbare Tochter auf einmal zurück von ihrem mehrwöchigen Aufenthalt an der belgischen Küste, ist braungebrannt und gutgelaunt und hat jede Menge neuer Freundinnen kennengelernt. Allesamt Mädels aus der Salomon-Schule. Dagegen hätten sie die Kids aus ihrer eigenen Schulklasse total angenervt.
Bnei Akiva Und schon am nächsten Tag werde ich mit WhatsApp-Messages von mir unbekannten Kindern bombardiert: Die eine Hälfte will meine Tochter zum Spielen einladen, die andere Hälfte bettelt, ob sie am Wochenende mit zu Bnei Akiva kommen können, denn die sei ja im Moment so hip. Ich bin einigermaßen verblüfft. Meine Tochter eröffnet mir, dass sie ab September in die Salomon-Schule gehen wird, denn von ihrer alten Schule habe sie einfach total die Nase voll.
Alles sei bereits organisiert: Jeden Schabbat würde in Kürze eine andere neue Freundin bei uns übernachten, und alle würden es sehr begrüßen, meinen berühmten Tscholent und Kigel zu probieren, den Super-Spielplatz der Misrachi-Synagoge zu testen, und nachmittags mit zu Bnei Akiva zu gehen. Problem gelöst. Ich sage meiner Tochter eine bahnbrechende Karriere als Chabad-Schlicha voraus.