Chol Hamoed, die Halbfeiertage zu Pessach, sind schon eine besondere Zeit: Der Stress der Pessach-Vorbereitungen ist vorbei, das Haus ist blitzblank, der Duft des üppigen Sedermahls hängt noch in der Luft, und ich habe einen ernst zu nehmenden Ohrwurm von Pessachliedern.
Allerdings stellt sich bei mir nun auch eine gewisse Ernüchterung ein – und das nicht nur nach den vier Gläsern Wein. Denn leider kann ich mir nicht die ganze Woche freinehmen, sondern muss mich wohl oder übel an den Halbfeiertagen ins Büro schleppen.
Chol Hamoed Eigentlich sollte mir ja der Gang an den Schreibtisch leichtfallen: Immerhin muss ich bei meiner Arbeit keine schweren Steine schleppen und Pyramiden bauen, sondern kann bequem am Computer sitzen. Trotzdem fühle ich mich zu Chol Hamoed auf dem Weg zur Arbeit nicht ganz frei – nicht nur deshalb, weil meine Frau und unsere drei kleinen Kinder die Pessachferien glücklich zu Hause verbringen und mir laufend übers Smartphone süße Spielplatz- und Mazze-Fotos von ihrer vergnüglichen Freiheit schicken.
Vielleicht liegt mein beschwerliches Gefühl auch daran, dass mir langsam, aber sicher die vielen Mazzot schwer im Magen liegen. Während ich mich am Sederabend noch über die trockenen Fladen, Kneidlach-Suppe, Gefilte Fisch und auf den Mazzebrei am nächsten Morgen gefreut habe, beginne ich spätestens an Tag vier oder fünf, beim Essen der »ungesäuerten Brote« vermehrt die sandige und heiße Wüste zu schmecken, die die Israeliten bei ihrem Auszug aus Ägypten durchqueren mussten.
Natürlich packe ich mir – um den Büroalltag irgendwie zu überstehen – trotzdem genügend der viereckigen Fladen ein. Um uns die Pessachzeit zu versüßen, hat meine Frau sogar extra »koscher für Pessach«-Schokoladen-Aufstrich aus Israel besorgt.
Lunch Ungeachtet des hohen Kaloriengehalts meines süßen Lunchpakets werde ich – in der Kantine angekommen – beim Auspacken meines Mittagessens gleich von einer um mich besorgten und verwunderten Kollegin gefragt, ob ich denn nun endlich auf Diät sei. Die Blicke der versammelten Belegschaft richten sich unweigerlich auf meine Taille.
Ja, ja, ich weiß, irgendwann vor den drei Schwangerschaften meiner Frau war ich mal schlanker. Obwohl es einfacher wäre, die Frage nach der Diät zu bejahen, hole ich dennoch lieber ganz tief aus und erzähle die Geschichte von der Sklaverei, den zehn Plagen und dem Exodus aus Ägypten.
Und am Ende hat sich mein etwas zwänglicher Aufenthalt in der Kantine doch gelohnt, nicht nur wegen der Einhaltung der Mizwot. Von meinem reichhaltigen Mahl an den Tisch gelockt, gesellt sich plötzlich noch ein anderer – mir bisher unbekannter – jüdischer Kollege zu uns. Er blickt halb freudig, halb abgeschreckt auf meine Mazze: Wir verstehen uns ohne Worte. In wenigen Tagen ist alles vorbei. Dann sind wir frei.