Harte Bewährungsprobe für den jüdisch-christlichen Dialog: Schuschan Purim, der Extra-Feiertag für Juden in ummauerten Städten, fällt in diesem Jahr mit dem Tag der Kreuzigung Jesu zusammen. Das kann mir zum Glück egal sein – ich lebe nicht mehr in Jerusalem. Schon während meines Studiums in der ewigen Hauptstadt habe ich Prozessionen jeder Art vermieden. Und selbst wenn ich unseren diesjährigen Israelurlaub auf Ostern gelegt hätte (was ich in weiser Voraussicht nicht getan habe), würde ich am 15. Adar keinen Fuß in die Jerusalemer Altstadt setzen.
Doch wer will, der kann am Karfreitag Pilger sehen, die schwer an ihren Kreuzen schleppen – es gibt sie, wie man weiß, beim Kreuzverleih von Mazin Kanaan in der Via Dolorosa in Größe S bis XL. »Die Deutschen und die Katholiken tragen die schwersten Kreuze, die Koreaner und Italiener die leichteren«, sagte der Geschäftsmann jüngst in einem Interview.
wodkaflaschen Die Juden wiederum liefern ganz andere Bilder: Am 15. Adar sind in Jerusalem Tausende Maskierter mit Clownsperücken, roten Nasen und Wodkaflaschen unterwegs. Wie jedes Jahr an Schuschan Purim werden sie armen Mitmenschen ihre Festlaune samt klebriger Hamantaschen voll billiger Marmelade aufdrängen, um die Mizwot zu erfüllen.
Bleibt nur zu hoffen, dass die Manie im jüdischen Viertel und die Depression auf der Via Dolorosa getrennt verlaufen. Gemischte Episoden haben selten ein Happy End. Ich stelle mir gerade vor, wie beschickerte Juden, von denen manche auch in nüchternem Zustand nicht in der Lage sind, zwischen Amalekitern und Arabern zu unterscheiden, in der Altstadt auf Pilger aus aller Welt treffen, die unter ihren Kreuzen ächzen.
Was soll bloß passieren, wenn ein Jude in Tunika und Sandalen als Pontius Pilatus auftritt? Oder wenn Königin Esther den Kreuzträgern zu ihren gelungenen Kostümen gratuliert? Für den Fall, dass es an Schuschan Purim zum Äußersten kommt – was der Jerusalemer Polizeichef und seine Hundertschaften verhindern mögen –, setze ich darauf, dass sich das bewährte Prinzip »Jeder nur ein Kreuz« (beziehungsweise: »Jeder nur eine Rassel«) auch an diesem Karfreitag durchsetzt. Dann bleibt das hölzerne Arsenal wenigstens überschaubar.
pilgerreisen Die Hoffnung ist durchaus berechtigt, denn wie man hört, verlief der Kreuzverleih in den vergangenen Jahren eher schleppend. Wegen der aktuellen Situation im Nahen Osten ist Jerusalem auch 2016 nicht gerade das Top-Reiseziel. Vielleicht aber kann ein friedliches Schuschan Purim dazu beitragen, dass Pilgerreisen in Zukunft wieder stärker gefragt sind?
Davon würden auch die Muslime profitieren – schließlich sind sie es, die in der Altstadt die Kreuze an die Christen verleihen. Wenn es also am Karfreitag auch auf dem Tempelberg ruhig bleibt, wäre das eine bestandene Bewährungsprobe für den abrahamitischen Trialog – und das in Jerusalem, der ummauerten Stadt ... Schuschan Purim Sameach!