Die Stadt Tel Aviv ist wahnsinnig stolz auf ihre neue Strandpromenade und auf ihr innerstädtisches freies W-Lan. Zudem auf ihre Hundeklo-Politik, auf ihre Mietpreise, die New York weinend im Schatten stehen lassen, und das mehr oder minder funktionierende Miteinander. Mehr, wenn es um Demonstrationen geht, minder, wenn ein werdender Vater auf den Klimaanlagen-Monteur wartet.
Während ich jedoch über den Rothschild-Boulevard laufe, wo Baumkronen auf gleicher Höhe mit unzähligen Regenbogenfahnen im Wind um die Wette wehen, überkommt mich ein Gefühl von Stolz, das sämtliche irdische Errungenschaften Tel Avivs außen vor lässt: Am Freitag ist die Gay Pride. Die weltweit bekannte Schwulen- und Lesben-Demonstration, deren einziger Ausläufer im Nahen Osten in, natürlich, Tel Aviv stattfindet.
Junisonne In diesen Tagen zählt nicht, ob du homosexuell oder heterosexuell bist. Hier zählt, ob du offen genug für Vielfalt bist. Für unterschiedliche Lebenskonzepte, nackte Oberkörper und unbeschwerte Liebe unter der gnadenlos brennenden Junisonne. Tel Aviv macht es Unentschlossenen wie gewohnt einfach: Die Stadt stellt jeden vor vollendete Tatsachen.
Schwimm mit dem Strom oder stehe unter Strom. Ich schwimme wie Franziska van Almsick, benebelt von Babyöl und Bauchmuskeln, ganz vorne mit. Nach unzähligen Gesprächen mit Gay-Pride-Besuchern aus aller Welt entwickelt sich diese 70 Quadratkilometer große Metropole für mich zu einer einzigen Reizüberflutung. Farben, Gerüche, Sprachen, alles mischt sich mit einer Form von Ausgelassenheit, die zart besaiteten Menschen die Luft zum Atmen nehmen kann – ich befinde mich inmitten des heißesten Jahrmarkts der Eitelkeiten.
Stolz Was wie Sodom und Gomorrha für die religiöse Minderheit dieser Stadt sein mag, wird für die 150.000 erwarteten Schwulen und Lesben zu einem Schlaraffenland der Freiheit. Befindlichkeiten müssen draußen bleiben, Dizengoff, Strandpromenade und die scheinbar gesamte gastronomische Riege begrüßen ihre bunten Gäste mit Armen, die noch offener als sonst sind. Gibt es einen Superlativ von Stolz?
Israelis sagen, dass in Jerusalem gebetet, in Haifa gearbeitet und in Tel Aviv gelebt wird. Ich setze noch einen drauf und behaupte, dass für Tel Aviv aktuell der bekannte Werbespruch »Geht nicht, gibt’s nicht!« eher zutrifft. Der Schmelztiegel aus Orient und Okzident, der bereits Heimat für Tagträumer und Nachteulen ist, steht in den kommenden Tagen ein weiteres Mal für Akzeptanz, Vielfältigkeit, Hoffnung und Sehnsucht.