Alle Bitten und Überredungsversuche haben nichts genützt. Mein Mann weigert sich in diesem Jahr rundheraus, Pessach zu feiern. Dabei habe ich ihm zuliebe sogar darauf verzichtet, einen Seder für andere Kleinfamilien zu organisieren, was tagelangen Vorbereitungsstress kurz vor dem Urlaub bedeutet hätte.
Stattdessen wird es bei uns zu Hause einen Minimal-Seder geben – verkürztes Haggada-Lesen, mit der Mazze krümeln und Afikoman-Suchen. Am zweiten Sederabend schließen mein Sohn und ich uns einem Minjan in Berlin an, der alles für uns organisiert. Wir müssen keinen Handstrich tun – nur bezahlen, essen und singen.
Mazze Doch nicht einmal dazu ist mein Mann bereit. »Mazze und Gefilte Fisch? Lecker …«, sagte er sarkastisch und verdrehte die Augen. »Du glaubst doch nicht, dass ich da freiwillig hingehe.« Zu seiner Entschuldigung kann ich nur anführen, dass mein Mann in der DDR aufgewachsen ist und alles hasst, was irgendwie nach Kollektiv schmeckt.
Doch was Pessach angeht, ist er schlicht verbohrt. Seit wir uns kennen, tut er so, als sei das wunderbare Fest eine einzige Folter. »Wieso singt ihr den ganzen Abend und esst schreckliches Zeug – wegen einer Story, an die ihr sowieso nicht glaubt?«, fragte er mich nach unserem ersten gemeinsamen Sederabend. »Oder willst du etwa behaupten, dass Moses wirklich das Rote Meer geteilt hat?« Dabei geht es doch gar nicht um die Story. Schon eher um das Essen.
Aber vor allem geht es um die Erinnerungen. Doch dazu muss man wohl eine riesige jüdische Familie haben, die jahrelang in Israel in voller Besetzung um den Sedertisch saß. Noch heute bekommen wir feuchte Augen, wenn wir die Fotos anschauen: Weißt du noch damals, als Tante Mirjam die Gefilte Fisch gemacht hat – köstlich, unübertroffen? Und damals, als Onkel Rudi mit der Faust auf den Tisch schlug und mit schwerem Berliner Akzent sang: »Be chol dor-we-dor … in jeder Generation standen sie gegen uns auf«?
Gefilte Fisch Fast jeden Frühling haben wir zusammen gefeiert, vor allem uns selbst – eine Familie mit sieben Geschwistern, die in den späten 1930ern aus Berlin entkommen konnte. Aber wie kann das jemand verstehen, der nie von Tante Mirjams Gefilten Fisch gekostet hat?
Ich gebe zu, der letzte Seder war eine harte Prüfung. Wir waren in Österreich und schlossen uns einer kleinen Gemeinde an. Die Mitglieder waren alt und mürrisch, die Unterhaltung schleppend, die Gefilte Fisch nicht ganz frisch.
Während die Kinder tobten und sich die Finger in der Tür einklemmten, saß mein Mann in der Ecke und stöhnte: »Let my people go!« Seitdem behauptet er, er habe genug Opfer für die Juden gebracht. Er hat mich geheiratet und dreimal mit mir Pessach gefeiert – und damit den Kelch bis zur Neige ausgetrunken. Was soll ich dazu noch sagen? Lechajim! Ich hoffe, die Gefilte Fisch beim Berliner Minjan sind wenigstens besser als die vom vergangenen Jahr.