Leider lag ich an Purim krank im Bett und habe die Lesung der Esther-Rolle in der Synagoge verpasst. Mein kleiner Sohn hat mich – wenn auch nicht aus eigenem Antrieb – würdig vertreten, sofern man das überhaupt von einem Jungen, der gerade sechs Jahre alt geworden ist, behaupten kann.
Große Begeisterung scheint der (von der Kita organisierte) Besuch aber nicht ausgelöst zu haben. »Wie war es in der Synagoge?«, fragte ich am Abend danach. »Gut«, sagte er mürrisch und machte das Gesicht eines zukünftigen Nicht-Beters. »Ihr seid doch mit dem Bus gefahren?«, hakte ich nach. Prompt hellte sich sein Gesicht auf – und er beschrieb mir in allen Einzelheiten den Fahrtweg von Berlin-Wilmersdorf nach Mitte (»erst einen Umweg nach Süden, dann zum Adenauerplatz und zum Großen Stern ... dann hat der Bus geparkt und wir sind zur Synagoge gelaufen!«).
hebräisch »Habt ihr die Esther-Rolle gehört und gerasselt, als sie ›Haman‹ gesagt haben?«, wollte ich wissen. Mein Sohn schob wieder schmollend die Unterlippe nach vorne: »Sie haben so lange gebetet. Auf Hebräisch. Ich hab’s nicht verstanden.«
Ich auch nicht. Hätte eine Lesung auf Deutsch im Kindergarten denn nicht gereicht? Schließlich war mein Sohn so begeistert, der Vorleser im Esther-Haman-Mordechai-Theaterstück der Fünfjährigen zu sein, dass er tagelang von nichts anderem mehr reden konnte. Purim-Spaß kann ein Kinderspiel sein … Aber am fröhlichsten jüdischen Feiertag scheint es sich zum denominationsübergreifenden Wettbewerb entwickelt zu haben, wie viele Stunden die Kleinsten sich vor, während und nach der Megilla-Lesung langweilen sollen.
Ich weiß, wovon ich rede: Vor drei Jahren habe ich mit meinem Sohn eine Purim-Party in einem jüdischen Familientreff besucht. Plötzlich enterten zwei Rabbinerstudenten den Saal und begannen, die Megilla auf Hebräisch vorzutragen. Nach zwei Minuten fingen die ersten Dreijährigen an zu weinen. Nach fünf Minuten protestierte eine israelische Mutter: »Kfija Datit!« (»Religiöser Zwang!«).
mizwa Nach zehn Minuten hatte sich der Saal fast völlig geleert. Gegen Ende der Lesung waren nur noch zwei Eltern und ein schlafendes Baby zugegen. Doch die angehenden Rabbis strahlten und verteilten, als die Kinder in den Raum zurückkehrten, Mischlochei Manot: für jeden ein Riesenpaket aus Pappe, darin eine winzige Tüte Chips. Mizwa ist Mizwa! Wer sagt, dass es Spaß machen soll?
Ich habe mir übrigens kurz vor dem Fest Die Geschichte von Purim – Das Buch Esther für Kinder besorgt. Die witzige Fassung der Megilla habe ich meinem Sohn an Erew Purim vorgelesen. Jedes Mal, wenn ich »Haman« sagte, rief mein Sohn: »AAAAAAAA!« Dann sind wir eingeschlafen, der Kleine mit einem Lächeln auf dem Gesicht. Ob wir die Mizwa erfüllt haben? Wohl nicht so ganz. Man kann an Purim nicht alles haben. Oder?