Der heiße Herbst hat begonnen! Zumindest in Brüssel, der unwiderstehlichen Hauptstadt Europas. Denn erklärtes Hobby der meisten Belgier ist und bleibt: Wildstreiken! Züge, Metros, die Post, Fernsehsender und Öffentlicher Dienst lassen mit Gusto jedes Mal die Rollläden runter, sobald irgendein seniler Minister seine skurrilen neuen Ideen (zum Beispiel Rente mit 67) der Öffentlichkeit mitteilt. Die Folge: totaler Stillstand in den belgischen Städten. Und zwar, wie uns die Zeitungen genüsslich mitteilen, gleich an mehreren Tagen im November und Dezember.
Das Einzige, was noch halbwegs funktioniert, sind die Züge, vor allem, damit die Streikenden aus dem Umland zur Streik-Destination Brüssel anreisen können. Für sie kosten Bahntickets übrigens nur die Hälfte. Einfach am Schalter nach dem Spezialticket für Großveranstaltungen mit besonderem Wert fragen (ist normalerweise nur für Königskrönungen und so erhältlich).
odyssee Beim nächsten Generalstreik habe ich also nicht einmal eine Entschuldigung, um nicht von Antwerpen nach Brüssel zur Arbeit pendeln zu müssen. Stattdessen muss ich, weil die Metros in der Hauptstadt streiken, einen langen beschwerlichen Gang durch die Innenstadt antreten, um vom Bahnhof zur Arbeit zu gelangen. Ich schließe mich dann dem grummelnden, schlecht gelaunten Tross der Pendler an, die, den Google-Maps-Ausdruck in der Hand, die Odyssee durchs Brüsseler Labyrinth antreten.
Schön doof von uns allen, trotz Generalstreik zur Arbeit zu gehen. Denn um uns herum amüsieren sich alle so richtig aus den Vollen. Man könnte meinen, es wäre ein riesiger Betriebsausflug unterwegs, so begeistert wird hier allseits skandiert, gegrölt und geschunkelt. Am Abend sind die Straßen dann gesäumt von leeren Bierdosen und Luftschlangen mit Gewerkschaftslogos drauf. Ich darf nach getaner Arbeit mit der besoffenen Bande im Zug nach Hause fahren und muss mir auch noch irgendwelche doofen Streikgesänge ins Ohr grölen lassen. Ja, so ein Generalstreik ist richtig lustig.
kartoffelschälen Weniger lustig sind die vielen kleinen Streiks aus dem Hinterhalt. Als zum Beispiel letzten Mittwoch der gesamte Lehrkörper im Spontanstreik der jüdischen Schule fernblieb, der Direktor mit dem Küchenpersonal die Stellung halten musste und kurzerhand die gesamte Schülerschaft zum Kartoffelschäl-Marathon verdonnerte. Seitdem stehen jeden Tag Latkes und Kartoffelknödel auf dem Schulspeiseplan ... Kartoffelsuppe .... Kartoffelbrei ... Pommes frites ... so lange, bis der ganze Kartoffelberg aufgefuttert ist.
Inzwischen haben meine Kinder schon Magendrücken von der Kartoffelkost. Ein Glück, dass wenigstens die Ärzte nicht streiken dürfen in diesem Chaotenland. Oder doch? Ich glaube, ich gehe mal eben zur Apotheke und hamstere dort einen Monstervorrat an Aspirin, Paracetamol und Immodium ... man weiß ja nie. Hoffentlich streiken die Apotheker heute nicht.