Finale

Der Rest der Welt

Ich habe einen neuen Job. Vor zwei Monaten habe ich ja als Lehrer gekündigt, und mit der Zeit musste ich wieder arbeiten gehen. Jetzt bin ich Werbefuzzi. Ich arbeite zu Hause und warte auf einen Anruf aus der Werbezentrale. In der Schweiz leben sehr viele intelligente Menschen. Aber mit der deutschen Sprache stehen sie auf Kriegsfuß. Sie rufen dann in der Zentrale an und verlangen einen Werbetext über ihren Laden. Der Sachbearbeiter kontaktiert mich, und ich rufe den Kunden an. So läuft das momentan.

Vergangene Woche musste ich mit einem neuen Kunden arbeiten. Der Kerl hat einen Apparat erfunden, der Wasser enthormonisiert. Die Sache ist nämlich die: In unserem Wasser schwimmen ganz viele weibliche Hormone herum. Die machen, dass wir Männer immer weiblicher werden und nicht mehr auf die Jagd gehen, sondern zu stricken beginnen. Das wusste ich bisher nicht.

Hormone Aber es stimmt: Verglichen mit mittelalterlichen Rittern bin ich eine Jungfrau. Der Daniel Düsentrieb hat jetzt also eine Maschine, die kostet 2000 Franken. Sie entzieht dem Leitungswasser sämtliche Hormone, am Ende bleibt nur noch männliches Wasser über. Diesen Quatsch musste ich nun seriös beschreiben und die Schweizer Männer durstig auf dieses Wasser machen. Doch wenn es etwas gibt, das ich beherrsche, dann ist es die Selbstimagination. Irgendwann begann ich, daran zu glauben. Zu Hause guckte ich verstimmt meinem Sohn zu, als er ein Glas Wasser trank. »So wird aus dem kein Mann«, dachte ich mir.

Ein paar Tage später rief mich der Erfinder wieder an. Mein Text habe ihm gefallen. Ich soll ihm nun eine andere Erfindung beschreiben. Er hat nämlich einen Anzug erfunden, der im Futter allerlei Drähte verbirgt. Die verabreichen dem Anzugsträger elektrische Stromschläge. Der Clou der Sache: Durch das Zusammenzucken des Körpers verbrennt man Kalorien. Man kann also im Sitzen abnehmen. Die Stärke der Stromschläge lässt sich natürlich regulieren. So einen Anzug gibt’s nirgendwo, nur in der Schweiz. Also, sobald so ein Anzug zugelassen wird.

Synagoge Fleißig schrieb ich seine Ausführungen auf. Zwei Tage später war Rosch Haschana. Ich betete in der Synagoge und versuchte, mich auf die Liturgie zu konzentrieren. Doch ständig kamen mir das entweiblichte Wasser und der Stromschlag-Anzug in den Sinn. Ich fasste mich an den Kopf und las die deutsche Übersetzung der Gebete. Doch es half nichts.

Vor mir beteten Männer mit großer Andacht. Sie weinten bei gewissen Textstellen und bewegten ihren Oberkörper als bekämen sie Stromschläge. Und dann kam der Rabbi mit dem Schofar. Die ersten 20 Töne waren vernehmbar, die restlichen 80 glichen eher einem Luftzug. Nicht sehr männlich, dachte ich mir. »Der hat zu viel Frauenwasser getrunken«, war ich überzeugt – und schämte mich.

Kino

Neue Chefin, neues Festival? Das bringt die Berlinale 2025

Tricia Tuttle übernimmt die Leitung des Filmfests, das vergangenes Jahr von einem Antisemitismus-Skandal überschattet wurde

 23.12.2024

Theater

Wenn Schicksale sich reimen

Yael Ronens »Replay« erzählt die Geschichte einer DDR-Familie in Zyklen

von Leonie Ettinger  22.12.2024

Gute Vorsätze

100 Prozent Planerfüllung

Warum unsere Redakteurin 2025 pünktlicher sein will als die Deutsche Bahn

von Katrin Richter  22.12.2024

Meinung

Eine Replik von Eva Menasse auf Lorenz S. Beckhardts Text »Der PEN Berlin und die Feinde Israels«

von Eva Menasse  21.12.2024

Hessen

Darmstadt: Jüdische Gemeinde stellt Strafanzeige gegen evangelische Gemeinde

Empörung wegen antisemitischer Symbole auf Weihnachtsmarkt

 19.12.2024 Aktualisiert

Kino

Film-Drama um Freud und den Lieben Gott

»Freud - Jenseits des Glaubens« ist ein kammerspielartiges Dialogdrama über eine Begegnung zwischen Sigmund Freud und dem Schriftsteller C.S. Lewis kurz vor dem Tod des berühmten Psychoanalytikers

von Christian Horn  19.12.2024

TV-Tipp

»Oliver Twist«: Herausragende Dickens-Verfilmung von Roman Polanski

Sittengemälde als düstere Bestandsaufnahme über die geschilderte Zeitperiode hinaus

von Jan Lehr  19.12.2024

Literatur

Gefeierter Romancier und politischer Autor: 150 Jahre Thomas Mann

Seine Romane prägten eine Epoche und werden noch heute weltweit gelesen. Zugleich war Thomas Mann auch ein politischer Autor, woran im Jubiläumsjahr 2025 zahlreiche Publikationen erinnern

von Klaus Blume  19.12.2024

Glosse

Kniefall 2.0

Ist Markus Söder jetzt alles Wurst oder erfüllt er nur die Erwartungen der jüdischen Gemeinschaft?

von Michael Thaidigsmann  19.12.2024