Es geht um das Thema »Der wachsende Antisemitismus gegenüber jüdischen Medienschaffenden«. Der Anrufer ist 19 Jahre alt und Gymnasiast. Er schreibt gerade an seiner Abi-Arbeit. In der Schweiz schreibt jeder Abiturient an einer wissenschaftlichen Arbeit, auf die er dann sein Leben lang stolz ist. Der junge Mann hat folgende These: Seit den letzten zwei Jahren sind jüdische Journalisten in der Schweiz vehement unter Druck.
Das hätte was mit dem christlichen Judenhass und der aktuellen geopolitischen Lage zu tun. Der angehende Student ist sich da sicher. Ich bin sein erster Gesprächspartner. Die Kinder sind gerade im Bett, und ich habe Zeit für ihn. Er ruft von seinem Kinderzimmer an. In einer Woche ist Abgabetermin, und er muss mindestens noch ein Interview mit einem verfolgten Juden führen.
Attacken Die erste Frage: »Bekommen Sie viele Hassanrufe?« Nein. »Werden Sie auf der Straße angepöbelt, weil Sie ein jüdischer Journalist sind?« Nein. Kurze Pause. »Wie reagieren Sie auf diese bösartigen Reaktionen?« Gar nicht, denn ich bekomme ja keine. Längere Pause. »Ich bin da jetzt kurz aus dem Konzept geraten, tut mir leid. Also, leiden auch ihre Familienmitglieder unter diesen Attacken?«
Diesmal kurze Pause von meiner Seite. Der arme junge Abiturient. In einer Woche muss er seine Arbeit abgeben, und ich vermassle ihm die ganze wissenschaftliche Forschung. Ich kenne das auch aus meiner Tätigkeit. Man recherchiert eine halbe Woche lang an einem Thema und merkt kurz vor Redaktionsschluss, dass die ganze Geschichte so nicht stimmen kann.
Außerdem ist der Ruf der Schweiz momentan so tief im Keller, da verwundert es das Publikum sicher nicht, dass auch der Antisemitismus gegenüber jüdischen Medienschaffenden in unserem Lande wächst und wächst.
Schweinskopf »Also, Herr Frenkel, werden Sie nie spät abends angerufen?« Mhm, nein, aber zuweilen liegt morgens ein abgetrennter Schweinskopf in meinem Briefkasten. »Von Antisemiten?« Ja, leider.
»Erhalten Sie denn erst in den letzten zwei Jahren solche Schweinsköpfe in Ihrem Briefkasten? Oder gab es solche Vorkommnisse auch schon vor fünf Jahren?« Erst in den letzten zwei Jahren! Ich höre ein kleines Aufjubeln am anderen Ende des Apparats. »Das deckt sich mit meiner wissenschaftlichen Arbeit!«
Ich gratuliere ihm und verdrehe ihm zuliebe noch ein bisschen meine Biografie. Wenn die Abi-Arbeit (im Sommer) rauskommt, muss ich wahrscheinlich ein Asylgesuch stellen. Ich denke, die Sache ist es aber wert. Endlich mal ein Forscher, der nicht plagiiert, sondern selbst zusammengetragen hat. Solche Köpfe braucht Europa.