So wie ein Hamster, der zurück ins Rad muss, fühle ich mich an diesem Montagmorgen nach einem richtig ausufernden Purim-Wochenende. Ich sitze im Büro und nippe an einer Flasche Schlachmones-Sabralikör. Kaleidoskopartig ziehen die letzten Tage noch einmal an mir vorüber. Die Megillavorlesung am Samstagabend: Ein kleines Kind neben mir hat statt eines Ra’aschans ein Fußball-Tröten-Nebelhorn dabei, schon beim ersten »Haman« bläst es mir fast das Hirn raus, und nach einer halben Stunde habe ich ein Dauerpiepsen im Ohr und sehe Sternchen.
Weiter zur Kinderpurimfeier, wo sich die lieben Kleinen so mit Karamellen und Marshmallows vollstopfen, dass sie Überzucker kriegen und kreischend nach Hause geschleift werden müssen. Halb elf Uhr nachts: Wir spielen mit den Kindern das beliebte »Spot the Chassid«.
Schlangenlinien Wie jedes Jahr sind die Straßen Antwerpens voll von betrunkenen Chassiden, die auf Fahrrädern Schlangenlinien fahren, wehende Banner ihrer Rebben hinter sich herziehen, Nigunim grölen und Mülltonnen oder Laternenpfähle rammen. Zusatzpunkte gibt es für extra schräge Verkleidungen wie Pejes mit Glitter-Spray oder eingeflochtenen Neon-Schnürsenkeln.
Ein Trupp Musketiere mit wallenden Hutfedern und wehenden Schläfenlocken radelt johlend vorbei und bestreut uns mit Konfetti. Die Belgielei-Hauptstraße ist von einem Belzer Chassiden-Autokorso abgesperrt, deren Beifahrer zackig fromme Weisen in ihre Megafone schreien, bis die Polizei für Ordnung sorgt. Wir liefern die Gören bei Schwiegermama ab und ziehen weiter zur nächsten Party, dem berüchtigten Grusinim-Purim-Event der georgischen Juden in einer verlassenen Schiffswerft am Hafen.
Die Typen hier haben ölige Langhaarfrisuren, Zigarren und spitze Krokolederschuhe, die Mädels 15 Zentimeter hohe Stilettos, Mikro-Mini-Röcke und so viel Silikon, dass man damit sämtliche Fensterfronten des Chrysler-Buildings abdichten könnte. Die verrufenste und verruchteste Party des Jahres mit DJ Dudu Maor und Nigunim auf wummerndem Techno-Sound! Wir bleiben bis zwei Uhr früh.
Satmarer-Party Am nächsten Tag sind wir alle – genau wie der Rest der Stadt – total geschafft. Chassiden schieben ihre Zwillingskinderwagen von Tür zu Tür, die Babys darin verschwinden vollständig unter 150 zellophanumhüllten Schlachmones-Tüten. Autos halten mitten auf der Straße, der Satmarer Party-Doppeldecker-Bus schiebt sich röhrend durch die Menge, auf dem Oberdeck tanzen 30 hackedichte Jeschiwebochers eine Debka. Die Polizei hat es längst aufgegeben, gegen diese Masse von durchgedrehten Juden anzukommen.
Lautes Schnarchen weckt mich. Huch, ich bin im Büro eingeschlafen. Die leere Sabra-Flasche rollt mit einem unfreundlichen Rumsgeräusch von meinem Schreibtisch hinunter in den Papierkorb. Und damit ist die Party endgültig zu Ende. Bis zum nächsten Jahr.