Geschichte

Der Ratte auf der Spur

Der französische Autor Olivier Guez erzählt vom Untertauchen des Nazi-Arztes Josef Mengele

von Katrin Richter  08.10.2018 19:56 Uhr

Der Bestsellerroman zeichnet das Bild eines Massenmörders, der bis zum Schluss davon überzeugt ist, nur Befehle ausgeführt zu haben. Foto: pr

Der französische Autor Olivier Guez erzählt vom Untertauchen des Nazi-Arztes Josef Mengele

von Katrin Richter  08.10.2018 19:56 Uhr

Buenos Aires, 1949: Helmut Gregor hat gerade eine Aufenthaltsgenehmigung bekommen, arbeitet auf Baustellen und streift durch die Stadt. Ihm geht es gut im sonnigen Süden. Nur erkennen darf ihn möglichst keiner. Denn eigentlich heißt er Josef Mengele und war der Lagerarzt von Auschwitz.

Er, der Tausende Menschen in den Tod schickte, Schwangere bestialisch zu Tode quälte, Säuglinge auf unaussprechliche Weise folterte, abscheuliche Experimente an Menschen mit körperlichen und geistigen Behinderungen durchführe, sie ermordete, hat im Argentinien unter Präsident Juan Perón Zuflucht gefunden.

hilfe Die Wirtschaft des Landes boomt, und Mengele ist dabei, es sich in dem Netzwerk aus reichen und ebenfalls geflüchteten Nazis und deren Bewunderern bequem zu machen. Neue Papiere hier, ein Unterschlupf da, und zwischendurch Finanzspritzen von den Familien in Deutschland. So ist das, 1949 in Buenos Aires. Und so bleibt es. Erst einmal.

Der französische Bestsellerautor Olivier Guez hat seinen Roman den letzten 30 Lebensjahren Mengeles gewidmet und zeichnet in Das Verschwinden des Josef Mengele (La disparition de Josef Mengele) das Bild eines Massenmörders, der bis zum Schluss davon überzeugt ist, nur Befehle ausgeführt zu haben.

Unterteilt ist Guez’ Roman in zwei Abschnitte: In »Der Pascha« schildert der Schriftsteller das neue Leben von Josef Mengele. Ein Großkotz mit zwei Rassenwahn-Doktortiteln, der sich heimlich die Nazi-Zeitschrift »Der Weg« kauft und die Frau seines verstorbenen Bruders heiratet. Er fühlt sich sicher, denn in Deutschland interessiert sich niemand für den Verbleib des Kriegsverbrechers und Massenmörders. Die deutsche Botschaft in Buenos Aires stellt ihm sogar eine Geburtsurkunde mit seinem richtigen Namen aus.

versteck Doch dann kommt der Mai 1960. Adolf Eichmann wird vom israelischen Geheimdienst Mossad entführt. Und damit beginnt der zweite Teil des Buches – »Die Ratte«, die bis in die Tiefen des brasilianischen Regenwaldes und wieder hinaus flüchtet. Die isoliert ist, wahnhaft und immer verrückter wird. Die sich aber der Unterstützung der Nationalsozialisten in Südamerika ziemlich sicher sein kann. So hat Mengele bereits seit 1959 einen paraguayischen Pass – den Beziehungen sei Dank –, und das Geld für seine Helfer und Menschen, die ihn verstecken, ist ebenfalls gesichert.

Es sind die nüchternen, manchmal chronologisch, manchmal rückblickenden Beschreibungen der gut vernetzten Nazis und der offenkundig desinteressierten Behörden in Deutschland und in Südamerika, die immer wieder fassungsloses Kopfschütteln verursachen. Olivier Guez hat sein Buch zwar dem Genre Roman zugeordnet, aber an vielen Stellen liest es sich wie eine Reportage – mit vielen schrecklichen und unglaublichen, aber historisch verbürgten Details.

Viele Fakten mögen vielleicht nicht ganz neu sein – die sogenannte Rattenlinie, Eichmanns Verhaftung oder dass die Firma der Familie Mengele in Deutschland nach dem Krieg erfolgreich landwirtschaftliche Geräte verkaufte. Dennoch ist Das Verschwinden des Josef Mengele ein Buch, das gelesen werden sollte. Gerade heute. Denn wie schreibt Olivier Guez im Epilog: »Immer, nach zwei oder drei Generationen, wenn das Gedächtnis verkümmert und die letzten Zeugen der vorherigen Massaker sterben, erlöscht die Vernunft, und die Menschen säen wieder das Böse.«

Olivier Guez: »Das Verschwinden des Josef Mengele«. Aufbau, Berlin 2018, 224 S., 20 €

Malerei

First Ladys der Abstraktion

Das Museum Reinhard Ernst in Wiesbaden zeigt farbenfrohe Bilder jüdischer Künstlerinnen

von Dorothee Baer-Bogenschütz  14.01.2025

Leipzig

»War is over« im Capa-Haus

Das Capa-Haus war nach jahrzehntelangem Verfall durch eine bürgerschaftliche Initiative wiederentdeckt und saniert worden

 14.01.2025

Debatte

»Zur freien Rede gehört auch, die Argumente zu hören, die man für falsch hält«

In einem Meinungsstück in der »Welt« machte Elon Musk Wahlwerbung für die AfD. Jetzt meldet sich der Axel-Springer-Chef Mathias Döpfner zu Wort

von Anna Ringle  13.01.2025

Krefeld

Gütliche Einigung über Campendonk-Gemälde

An der Einigung waren den Angaben nach die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, Claudia Roth (Grüne), das Land NRW und die Kulturstiftung der Länder beteiligt

 13.01.2025

TV

Handgefertigte Erinnerung: Arte widmet Stolpersteinen eine Doku

Mehr als 100.000 Stolpersteine erinnern in 30 Ländern Europas an das Schicksal verfolgter Menschen im Zweiten Weltkrieg. Mit Entstehung und Zukunft des Kunstprojektes sowie dessen Hürden befasst sich ein Dokumentarfilm

von Wolfgang Wittenburg  13.01.2025

Mascha Kaléko

Großstadtdichterin mit sprühendem Witz

In den 20er-Jahren war Mascha Kaléko ein Star in Berlin. Die Nazis trieben sie ins Exil. Rund um ihren 50. Todestag erleben die Werke der jüdischen Dichterin eine Renaissance

von Christoph Arens  13.01.2025

Film

»Dude, wir sind Juden in einem Zug in Polen«

Bei den Oscar-Nominierungen darf man mit »A Real Pain« rechnen: Es handelt sich um eine Tragikomödie über das Erbe des Holocaust. Jesse Eisenberg und Kieran Culkin laufen zur Höchstform auf

von Lisa Forster  13.01.2025

Sehen!

»Shikun«

In Amos Gitais neuem Film bebt der geschichtsträchtige Beton zwischen gestern und heute

von Jens Balkenborg  12.01.2025

Omanut Zwillenberg-Förderpreis

Elianna Renner erhält Auszeichnung für jüdische Kunst

Die Schweizerin wird für ihre intensive Auseinandersetzung mit Geschichte, Biografie und Politik geehrt

 12.01.2025