Wuligers Woche

Der Preis ist heiß

Warum es keine gute Idee ist, der Israel-Boykotteurin Kamila Shamsie den Nelly-Sachs-Preis zu verleihen

von Michael Wuliger  12.09.2019 09:33 Uhr

Warum es keine gute Idee ist, der Israel-Boykotteurin Kamila Shamsie den Nelly-Sachs-Preis zu verleihen

von Michael Wuliger  12.09.2019 09:33 Uhr

Das Wort »paradox« bedeutet laut Duden »widersinnig, widersprüchlich«. Weitere Synonyme sind »absonderlich«, »absurd«, »abwegig«, »befremdend«, »bizarr«, »blödsinnig« und »verrückt«. Paradox wäre zum Beispiel, Dieter Bohlen zum Frauenbeauftragten zu ernennen oder Baschar al-Assad den Friedensnobelpreis zu verleihen.

Kein Mensch käme auf eine solche Idee. Kein Mensch außerhalb Dortmunds jedenfalls. Denn dort scheint man sich offenbar für den Guinness-Weltrekord der Paradoxie bewerben zu wollen.

Lyrikerin Die Ruhrgebietsstadt verleiht alle zwei Jahre den Nelly-Sachs-Preis für »überragende schöpferische Leistungen auf dem Gebiet des literarischen und geistigen Lebens«, dotiert mit 15.000 Euro. Nelly Sachs (1891–1970) war eine deutsch-jüdische Lyrikerin, die für ihr Werk, das sich vor allem mit der Schoa auseinandersetzte, 1966 mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet wurde, gemeinsam mit dem israelischen Schriftsteller Samuel Joseph Agnon.

Das Stockholmer Nobelpreiskomitee fürchtete damals übrigens, wie später bekannt gewordene Aufzeichnungen interner Diskussionen verraten, die Preisvergabe könnte als »zionistische Geste« wahrgenommen werden.

»Ich will nicht den Streik brechen, den die palästinensische Zivilgesellschaft gegen alle Einrichtungen ausgerufen hat, die in irgendeiner Weise Komplizen des israelischen Staates sind«, sagt die Schriftstellerin.

BDS Dieses Risiko gehen die Dortmunder Preisverleiher nicht ein. Trägerin der nach einer jüdischen Dichterin benannten Auszeichnung wird in diesem Jahr eine BDS-Anhängerin sein, die pakistanisch-britische Schriftstellerin Kamila Shamsie. Shamsie hat mehrere preisgekrönte Romane veröffentlicht, die in zahlreiche Sprachen übersetzt wurden – nur nicht ins Hebräische. Nicht, dass israelische Verlage kein Interesse gehabt hätten.

Doch die Autorin stellte sich quer: »Ich würde mich sehr freuen, auf Hebräisch veröffentlicht zu werden. Aber ich kenne keinen Verleger hebräischer Literatur, der nicht auch Israeli wäre …«, wird sie auf der offiziellen Website der BDS-Bewegung zitiert. »Ich will nicht den Streik brechen, den die palästinensische Zivilgesellschaft gegen alle Einrichtungen ausgerufen hat, die in irgendeiner Weise Komplizen des israelischen Staates sind.«

Dummheit Den Dortmunder Preisverleihern zu unterstellen, dass das vielleicht ihr eigentlicher Grund war, Kamila Shamsie auszuwählen, ginge zu weit. Man sollte nie böse Absicht vermuten, wo bloße Dummheit als Erklärung ausreicht. Wahrscheinlich hatte die Jury schlicht keine Ahnung, wen sie da mit einem Preis ehren will, der auch »zur Verbesserung der kulturellen Beziehungen zwischen den Völkern beitragen« soll.

Die Empfänger des Nelly-Sachs-Preises, heißt es in den Statuten, »stehen für Toleranz, Respekt und Versöhnung und leben diese Werte in einer globalisierten Gesellschaft, in der sie sich für ein friedliches Zusammenleben einsetzen«. Zu meinen, dass diese Beschreibung ausgerechnet auf eine erklärte Israel-Boykotteurin passt, ist ziemlich paradox. Oder, um noch ein Synonym aus dem Duden zu zitieren: »hirnrissig«.

Anmerkung der Redaktion: Inzwischen hat die Jury des Nelly-Sachs-Preises angekündigt, ihre Entscheidung überprüfen zu wollen.

Columbia University

»Eine große Gefahr für den Westen«

Der Hochschullehrer Ran Kivetz über anti-israelische Proteste, Morddrohungen gegen jüdische Dozenten und mögliche Folgen für die liberale Demokratie

von Detlef David Kauschke  05.01.2025

Kulturkolumne

Warum ich für meine Familie zwei WhatsApp-Gruppen brauche

Beide Gruppen nerven mich – und doch ist es gleichzeitig alles andere als selbstverständlich, mit allen in Echtzeit so kommunizieren zu können

von Laura Cazés  05.01.2025

Aufgegabelt

Heringssalat mit Roter Bete

Rezepte und Leckeres

 05.01.2025

2024

Hebräischer Vorname ist am beliebtesten bei deutschen Eltern

Gerade unter den beliebtesten Jungennamen sind einige biblischen Ursprungs

 03.01.2025 Aktualisiert

Filmbiografie

Erfolg in Blau - Miniserie über Levi Strauss

Die Jeans von Levi’s sind weltbekannt – doch wer kennt die Geschichte ihrer jüdischen Erfinder? Ein ARD-Mehrteiler erzählt von Levi Strauss und Jacob Davis

von Kathrin Zeilmann  03.01.2025

Debatte

Musk-Beitrag in der »Welt«: Idee kam von Springer-Aufsichtsrat

Die Hintergründe

 03.01.2025

Familie

»Ich vertraue deinem Gewissen«

Die 18-jährige Tochter des israelischen Schriftstellers Eshkol Nevo wird zum Wehrdienst eingezogen – auf eigenen Wunsch in eine Kampfeinheit. Der Vater schreibt ihr einen Brief

von Eshkol Nevo  03.01.2025

Gaza

Von der Welt vergessen

Seit 455 Tagen befindet sich das israelische Kleinkind Kfir Bibas mit rund 100 anderen Geiseln in der Gewalt der Hamas. Wo bleibt der Aufschrei?

von Georg M. Hafner  03.01.2025

Imanuels Interpreten (3)

Allee Willis: Die bekannteste Unbekannte

Sie ist die Unbekannte hinter Songs, von denen einige die Welt im wahrsten Sinne des Wortes bewegt haben. Ihr Motto: »Der Text darf nie mit dem Groove kollidieren.«

von Imanuel Marcus  03.01.2025