Anmerkung der Redaktion (2. August 2023):
Als dieser Text von Fabian Wolff in der Jüdischen Allgemeinen erschien, glaubte die Redaktion Wolffs Auskunft, er sei Jude. Inzwischen hat sich Wolffs Behauptung als unwahr herausgestellt.
Vor 29 Jahren: die Küche eines Hotels in London, ein Kellner legt Brötchen mit einer Zange in einen Korb. Er macht noch einen letzten Scherz und bringt den Korb dann in den Speisesaal. Ein streng aussehender Mann in einem teuren Anzug sitzt mit seinem Sohn und seiner Tochter an einem Tisch. Der Kellner bringt ihm die Brötchen, nimmt dann die Zange und rammt sie ihm in den Hals. Blut spritzt auf die Kinder, die nicht schreien oder weinen, sondern einfach nur traurig blicken.
Mit dieser fesselnden Szene beginnt die achtteilige Serie The Honourable Woman, die gerade in Großbritannien von der BBC und in den USA vom Sundance Channel ausgestrahlt wird. Doch so stark der Anfang ist, so enttäuschend ist der Rest.
intrigen Der Ermordete war der Rüstungsfabrikant Eli Stein, »das Schwert Israels«. Inzwischen haben seine Kinder Nessa (Maggie Gyllenhaal, die titelgebende ehrenwerte Frau) und Ephra (Andrew Buchan) aus seinem Unternehmen einen globalen Konzern samt karitativer Stiftung gemacht. Nessa hat es dank ihrer Wohltätigkeit sogar in das britische Oberhaus geschafft. Die Steins möchten ihren Beitrag zum Nahostfriedensprozess leisten – ein Musikkonservatorium in Ramallah haben sie bereits gebaut. Jetzt wollen sie Breitband-Internet in die Westbank bringen: »Statt Minen verlegen wir jetzt Kabel.« Der Auftrag dafür geht an den Palästinenser Samir Meshal, der wenig später erhängt und in die Flagge seines Landes gehüllt aufgefunden wird.
Dieser vermeintliche Selbstmord löst eine Krise im Leben von Nessa aus, die in ein Netz aus Intrigen und Lügen stolpert. »Das hier ist der Nahe Osten. Hier macht man sich Feinde«, sagt Nessa – eine Anspielung auf die letzte Zeile aus Polanskis Chinatown von 1974. Dabei legt die Serie den üblichen Orientsound-Brei über das Geschehen. Nessas israelischer Geschäftspartner – Glatze, dicker Bauch, Vorname »Shlomo« – ist natürlich ein übler Rassist, der über seinen arabischen Konkurrenten schimpft: »Scheiß auf den Sechstagekrieg. Mit dem bin ich in Sekunden fertig!«
farblos Nicht, dass die Serie politisch Stellung bezieht. Die Klischees sind ausgewogen verteilt. Eine britische Abgeordnete ist vor allem deshalb als Bösewichtin erkennbar, weil sie offen antizionistisch ist. The Honourable Woman positioniert sich zwischen den Fronten. Exemplarisch dafür ist eine Szene, in der Nessa an Pro-Israel-Demonstranten links und Pro-Palästina-Demonstranten rechts vorbeimuss, um ein Konzert zu besuchen, bei dem Musiker beider Länder zusammen spielen sollen. Das Konzert findet dann nicht statt, weil der kleine Sohn von Nessas arabischer Freundin Atika entführt wird – von Arabern. Abgesehen von der Frage, wann jemals Unterstützer Israels gegen eine Musikschule in Ramallah demonstriert haben: Nein, einfach macht es sich The Honourable Woman nicht.
Was allerdings nichts daran ändert, dass die Story nicht funktioniert. In der von den ewig gleichen männlichen Antihelden beherrschten Serienwelt ist eine weibliche Protagonistin eine erfrischende Erscheinung – doch Drehbuchautor Hugo Blick zeichnet Nessa als zentrale Figur nicht mysteriös, sondern einfach nur farblos. Maggie Gyllenhaal ist wie immer zuverlässig, auch wenn ihr britischer Tea-Time-Akzent zu bemüht klingt.
didaktisch Der zweite Handlungsstrang der Serie dreht sich um Hayden-Hoyle, den scheidenden Leiter der Nahost-Abteilung des MI6, der den Selbstmord von Samir Meshal untersucht. Der großartige Stephen Rea spielt ihn wie einen traurigen Hund, den die Welt und seine eigene Depression irgendwie doch amüsiert. Doch auch hier schlägt die Serie immer wieder falsche Töne an: etwa wenn ein führender MI6-Mann fragt, ob es richtig sei, »mit einem Menschenleben zu spielen, um an Informationen zu kommen«. Darum geht es schließlich im Spionagegeschäft.
Das Hauptproblem von The Honourable Woman ist das penetrant didaktische Drehbuch. Dass es um Macht, Korruption und Vertrauen geht, erfahren die Zuschauer vor allem, weil die Figuren nicht umhinkönnen, zu all diesen Themen Banalitäten zu äußern. Die Serie wäre gerne das britische Nahost-Pendant zum »Paten«, mit Nessa als Michael Corleone. Doch dafür reicht es nicht. Dem Zuschauer bleibt am Ende nur die Erkenntnis, dass in diesem Fall die These nicht stimmt, dass Fernsehserien heute besser als Filme sind.