Es ist ein literarischer Running Gag: Seit gefühlt zehn Jahren sagt der gefeierte Journalist, Filmemacher und Schriftsteller Georg Stefan Troller bei jedem neuen Buch, dass es nun aber sein letztes sei. Höhepunkt war wohl der Klappentext seiner Memoiren Meine ersten 100 Jahre, die Ende 2021 erschienen sind: »Doch nun liegt hier wirklich sein allerletztes Buch vor, das just im Jahr seines einhundertsten Geburtstags erscheint …«
Uuups, wohl doch nicht. Denn ein Jahr später ist das nächste da: Der Unnötige. Troller lacht und winkt ab. Es seien schließlich alte Texte.
GEDICHTE Aber was für welche. 16 Kurzgeschichten und Reportagen aus den Jahren 1945 bis 1950 hat er im Archiv der Deutschen Kinemathek, die eine Sammlung zu Trollers Leben und Werk beherbergt, ausgegraben. Also aus der Zeit vor dem Pariser Journal und den Personenbeschreibungen, die ihn dem breiten Fernsehpublikum bekannt gemacht haben.
Geschrieben hat er aber schon immer, deshalb hat er auch noch ein paar Gedichte aus der Feder des ganz jungen Schorschi beigesteuert. Denn bevor die Nazis die europäische Kultur zertrümmerten, wollte Troller unbedingt Dichter werden.
Die Texte stammen aus der Zeit, als Troller, der die Schoa knapp überlebte und dann als US-Soldat nach Europa zurückkehrte, das Lachen neu erlernen musste.
Die Texte im neuen Buch stammen aus der Zeit, als Troller, der die Schoa knapp überlebte und dann als US-Soldat nach Europa zurückkehrte, das Lachen neu erlernen musste und mit einem tief sitzenden Heimweh nach seiner Muttersprache haderte. So suchen und jagen die Worte nach einer Sprache, die erst neu gefunden werden musste.
KRIEG Gleich der erste Text, »Die Folter«, berichtet bestechend emotionslos davon, was der Krieg mit Menschen macht. Mit »Die Ankunft« folgt eine Wahnvorstellung von der Liebe. Auch in »The Way of a Genteel Cat«, dem einzigen Text auf Englisch, geht es um Zuneigung, aber eben die einer Katze.
Und während man sich schließlich durch ein Porträt von D. H. Lawrence und Storys wie »Der Napoleon«, »Der Marquisard«, »Die Amerikanerin« und »Der Unnötige« liest – meist Porträts von Menschen, die der Autor in Paris in Bars, auf Parkbänken oder auch auf der Straße getroffen hat –, entsteht er langsam, der Troller, den man kennt, dessen geniale Menschenporträts später Millionen Zuschauer fanden. Der Troller, der sich und seine Interview-Technik einst als »Menschenfresser« beschrieben hat.
Neben Drogenabhängigen, Résistance-Kämpfern und Künstlern lässt er auch eine einstige Vichy-Kollaborateurin auftreten. »La Glaciale« (Die Eiskalte) kommt ziemlich nah heran an den später zum Beruf gemachten Wunsch, den anderen unbedingt verstehen zu wollen. Indem man immer weiter fragt. Vielleicht auch in der Hoffnung, in all den Antworten womöglich ein Stück der eigenen Geschichte wiederzufinden.
WERK Für Leser, die Trollers Werk bereits kennen, ist Der Unnötige eine spannende Lektüre, ermöglicht sie doch, einen Schriftsteller beim Entstehen zu beobachten. Für Troller-Laien wiederum öffnet das Buch den Blick in eine Ära und in die Psyche einer Rekonvaleszenz – mit unbestimmtem Ausgang.
Gut zu wissen, dass Georg Stefan Troller heute wieder herzlich lacht. Denn natürlich wird, wenn es nach ihm geht, auch dieses nicht das letzte Buch sein. In seiner Dachgeschosswohnung in Paris, wo er nach dem Krieg eine zweite Heimat gefunden hat, schreibt er schon am nächsten. Und nebenbei auch noch die Kolumnen für »Trollers Jahrhundert«, die in der Zeitung »Die Welt« erscheinen.
Und was haben Sie so vor mit 101?
Georg Stefan Troller: »Der Unnötige. Frühe Texte«. Verbrecher, Berlin 2022, 133 S., 20 €