Die Zahl öffentlicher, von den Medien gefragter jüdischer Intellektueller in Deutschland ist überschaubar, ihre Rolle bei allen Unterschieden genau umschrieben. Fast alle gehörten der unmittelbaren Nachkriegsgeneration an und sind männlichen Geschlechts. Es scheint, als ob in dieser Hinsicht erst mit der 1987 in Kiew geborenen Piratin Marina Weisband ein Wechsel eintritt.
Michael Wolffsohn jedenfalls ist nach seinen eigenen Worten »schon länger dabei«. Lange Jahre gab er die Rolle des »deutsch-jüdischen Patrioten«, die eigentlich in die Zeit des Ersten Weltkrieges, spätestens der Weimarer Republik gehört und wohl nicht mehr so recht am Leben zu erhalten war. Michael Wolffsohn hat es dennoch versucht.
Provokant Vor 65 Jahren fast zeitgleich mit dem Staat Israel geboren, wuchs Wolffsohn, Spross deutsch-jüdischer, ins damalige Palästina emigrierter Großbürger, nach Rückkehr der Eltern in West-Berlin auf. Nach dem Abitur in Berlin absolvierte er als Artillerist seinen Wehrdienst in Israels Armee, um schließlich die israelische Staatsbürgerschaft aufzugeben und in Berlin Geschichte zu studieren.
Seit 1981 Professor für Neuere Geschichte an der Universität der Bundeswehr in München, provoziert er mit immer neuen aufsehenerregenden Forschungsergebnissen und versucht, dem deutschen Offiziersnachwuchs ein demokratisches Geschichtsbild zu vermitteln.
Die Spannbreite seiner Forschungen und Publikationen umfasste von Anfang an Staat und Gesellschaft Israels, den Palästinakonflikt, aber eben auch die deutsch-jüdische sowie die Sozialgeschichte der deutschen Bevölkerung im Allgemeinen.
Als Publizist und Intellektueller präsentiert sich Wolffsohn nicht nur als jemand, den man mit gutem Grund als »streitbar« bezeichnen kann, sondern auch als jemand, der immer wieder für Überraschungen gut ist. So konservativ Wolffsohn nämlich im Allgemeinen erscheinen mag, so sehr steht er doch bei der Beurteilung des Konflikts zwischen dem Staat Israel und den Palästinensern durchaus links der Mitte und spricht einer Zweistaatenlösung unter jordanischer Beteiligung das Wort.
Konservativ Nicht so in Deutschland. Hier hat es der Jubilar auf sich genommen, die konservative Agenda neu durchzubuchstabieren – sowohl im jüdischen Bereich wie auf gesamtgesellschaftlicher Ebene. Nicht nur versuchte er, dem langjährigen Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, Heinz Galinski, Liebedienerei gegenüber der DDR nachzuweisen, auch der von allen verehrte Ignatz Bubis war vor Wolffsohns Angriffen nicht sicher; in der Debatte um Martin Walser entzog er ihm vollends jede Solidarität.
Auch mag man, muss man darüber streiten, ob Wolffsohn es nötig hatte, die Zulässigkeit der Folter in der Terrorismusbekämpfung massiv zu verteidigen oder gar für eine Neueinführung des »Eisernen Kreuzes« einzutreten. So ehrenwert die Einführung dieses Ordens während des Befreiungskampfes Preußens gegen das napoleonische Frankreich, an dem auch viele Juden teilnahmen, gewesen sein mag, so sehr gilt doch auch, dass dessen Symbolkraft seit seiner Neueinführung in Hitlers Wehrmacht unwiederbringlich befleckt ist.
Kunstfigur Dass das alles nicht mehr funktioniert, dass die Kunstfigur des »deutsch-jüdischen Patrioten« in der globalisierten Welt ebenso hinfällig geworden ist wie das von Wolffsohn lange Zeit hochgehaltene Prinzip des Nationalstaats, musste er sich spätestens während George W. Bushs Feldzug gegen den Irak eingestehen. Angesichts der Weigerung des damaligen – »seines« – Kanzlers Schröder, sich an dem sinnlosen, blutigen Abenteuer zu beteiligen, erklärte der atlantisch gesonnene Wolffsohn, der diesen Waffengang entschieden befürwortete, nun kein »deutsch-jüdischer Patriot« mehr sein zu können.
Man fragt sich im Rückblick, ob Wolffsohn das Konzept des Patriotismus jemals wirklich ernst genommen hat. Der deutsche 1848er und spätere Innenminister der USA, Carl Schurz, hat es so formuliert: »My country, right or wrong. If right, to be kept right, if wrong, to be set right!« (»Mein Land, im Recht oder im Unrecht. Wenn im Recht, im Recht zu halten; und wenn im Unrecht, ins Recht zu rücken.«)
Lichtburg Heute ist der stets Widerspruch hervorrufende, die Debatte allemal belebende, persönlich überaus liebenswürdige Michael Wolffsohn in der Wirklichkeit der multikulturellen Gesellschaft angekommen: Als Erbe seines Großvaters Karl Wolffsohn, dem das avantgardistische Kino »Lichtburg« in Berlin gehörte, ließ er die Gartenstadt Atlantic im Berliner Stadtteil Gesundbrunnen mit Millionensummen vorbildlich und zu Recht preisgekrönt sanieren.
Inter-Kultur spielt dabei eine Hauptrolle: Im »Lichtburgforum« werden gemäß dem Motto »Deutsch–Türkisch–Jüdisch« Vorträge, Konzerte und Diskussionen präsentiert.
Das, was einmal deutsch-jüdisch hieß und nicht zu Unrecht unter dem Verdacht des Kosmopolitismus stand, erweist sich damit als beständiger als das Konstrukt »nationaldeutscher« Juden. Auch im Fall Michael Wolffsohns, dem hiermit herzlich zum 65. Geburtstag, den er am 17. Mai begehen kann, gratuliert sei. Ad mea we essrim!