Wagner-Festspiele

Der Messias aus Bayreuth

Wallfahrtsort für Wagner-Verehrer aus aller Welt: der »Grüne Hügel« vor dem Bayreuther Festspielhaus, das wie eine Art Tempel ausschließlich für Aufführungen von Opern des Komponisten errichtet wurde Foto: dpa

Ob ich Richard Wagner trotz seines Antisemitismus liebe oder wegen seines Judenhasses ablehne, will der Redakteur pünktlich zum Start der Richard-Wagner-Festspiele am 25. Juli in Bayreuth wissen. Weder noch: Ich fand ihn als Komponisten noch nie sonderlich spannend. Seine musikalischen Gedanken erscheinen mir zumeist wenig interessant. Die harmonischen Banalitäten und formalen Längen sind zwar geschickt mit einem bombastischen Orchesterapparat überdeckt. Ein Schubert-Lied sagt mir dennoch mehr als Wagners vierstündige Opern.

Eingefleischte Wagner-Liebhaber werden nun erzürnt sein – sollen sie auch, das »Sakrileg« ist beabsichtigt. Kaum ein anderer Komponist übt eine solch starke Faszination auf seine Verehrer aus. Wagner nimmt in der deutschen Musikwelt einen besonderen Platz ein, und der im 19. Jahrhundert entstandene Typus des »Wagnerianers« ist noch immer lebendig. Einen fanatischen Anhänger von Chopin oder Tschaikowsky würde man vergeblich suchen, von Wagner sind viele Menschen hingegen geradezu besessen.

Nietzsche Als »meine Krankheit« bezeichnete Friedrich Nietzsche einst seine Passion für Wagner und dessen Musik, von der er sich später in einer »Selbstüberwindung« zu befreien suchte. Eine Heilung fand Nietzsche unter anderem in der »liebenswürdigen« Musik von Georges Bizet: »Das Gute ist leicht, alles Göttliche läuft auf zarten Füßen.« Das könne man von Wagner nicht sagen, dessen Klänge den Zuhörer in einen »verdrießlichen Schweiß« versetzen, so Nietzsche.

Wie erklärt sich dieses Phänomen: Musikbegeisterung als »Krankheit«? Warum berauschen sich Menschen an Wagners Musik, als wäre sie das Höchste in der Welt? Warum wird er so inbrünstig verehrt und abgöttisch geliebt – trotz seiner allgemein bekannten Gemeinheiten, der persönlichen Charakterschwächen und sogar seines ostentativen Antisemitismus?

Das Schicksal des russisch-jüdischen Pianisten Joseph Rubinstein (1847–1884), der Wagner vergötterte, ihm trotz wiederholter antisemitischer Schikanen jahrelang treu diente und den Tod des Meisters nicht verkraften konnte (er erschoss sich dann an Wagners Grab), bietet nur ein Beispiel für diese besondere geistige und psychische Abhängigkeit.

Wagners Faszination kann man nur verstehen, wenn man ihn im Kontext der religiösen Suchen seiner Zeit wahrnimmt. Die Erosion traditioneller religiöser Formen – christlicher und jüdischer – im Laufe der europäischen Aufklärung führte zum Entstehen alternativer pseudoreligiöser Anschauungen. Zu ihnen gehörte auch die romantische Überhöhung der Rolle der Kunst und des Künstlers – die sogenannte Kunstreligion. Wagner hat sich wie kaum ein anderer Komponist selbst zum Propheten einer neuen Religion und letztlich zum Erlöser stilisiert.

guru Sein Persönlichkeitskult hatte weniger mit der Qualität seiner Musik zu tun, sondern vor allem mit der messianischen Botschaft, die sie vermitteln sollte. Seine Anhänger suchten in der Musik nicht nur nach ästhetischem Genuss, sondern auch nach ihrem persönlichen Heil. Das Bayreuther Festspielhaus auf dem »Grünen Hügel« wurde wie eine Art Tempel ausschließlich für Aufführungen seiner Opern errichtet. Es wurde zu einem Wallfahrtsort – noch bevor man zu indischen Gurus zu pilgern begann. Sein letztes Opernwerk Parsifal bezeichnete Wagner ausdrücklich als Bühnenweihfestspiel – entsprechend seiner Verfügung durfte es zunächst jahrelang nur in Bayreuth gespielt werden.

Schon lange zuvor war Wagner davon überzeugt, dass seine Musik in der Lage sei, die Welt und die ganze Menschheit zu verändern. Er wünschte eine Revolution herbei, eine globale Katastrophe, die die ganze Kulturlandschaft zerstören würde. Vor allem »das ungeheure Paris« – die Stadt, in der er keine Anerkennung fand – sollte »in Schutt gebrannt sein«.

Erst dann würde seine Zeit kommen: »Am Rheine schlage ich dann ein Theater auf und lade zu einem großen dramatischen Feste ein. Nach einem Jahre Vorbereitung führe ich dann im Laufe von vier Tagen mein ganzes Werk auf. Mit ihm gebe ich den Menschen der Revolution dann die Bedeutung dieser Revolution, nach ihrem edelsten Sinne, zu erkennen. Dieses Publikum wird mich verstehen: das jetzige kann es nicht.«

Eitelkeit Glücklicherweise sind die Bayreuther Festspiele dann doch nicht als Ergebnis einer solchen Apokalypse entstanden. Heute ist es eher ein postmoderner Vanity Fair, ein Schaulaufen der Prominenz aller Couleur, bei dem kein revolutionärer Erneuerungsgeist, sondern die banale Eitelkeit herrscht. Dennoch ist dieser Ort nach wie vor von Wagners antiaufklärerischer Weltanschauung, seiner Kunstutopie, seiner Vision eines »starken, schönen Menschen« – und auch seinem Antisemitismus – geprägt.

Wagners Judenhass war nicht bloß ein Vorurteil, dem viele Menschen seiner Zeit verfielen, sondern ein Kernpunkt seiner Ideologie, die sein Werk maßgeblich bestimmte. Um seine Ansichten zu vermitteln, musste Wagner keine leibhaftigen Juden auf die Bühne bringen: Alle Gestalten seiner Opern sind hochsymbolisch. Auch bei antisemitischen Motiven in Wagners Werken handelt es sich vielmehr um gewisse Codes, die dem Publikum gut verständlich waren.

»All die Zurückgewiesenen in Wagners Werk sind Judenkarikaturen«, meinte dazu Theodor W. Adorno. Der Jude als »geborener Feind der reinen Menschheit und alles Edlen in ihr« war für Wagner zugleich die treibende Kraft der verhassten Moderne – der bürgerlichen Gesellschaftsordnung seiner Zeit, der Wagner genauso wie sein Zeitgenosse Karl Marx sehnsüchtig den Untergang wünschte. Beide selbst ernannten Propheten wollten die vorhandene Welt nicht akzeptieren, sie sollte durch ein Paradies auf Erden mit einem neu erschaffenen idealen Menschen ersetzt werden. Beide vermochten viele Menschen durch ihre Zukunftsvisionen zu betören.

Von Wagners utopischem Denken führt eine direkte Linie zu den »ewigmorgigen« Ideologen und Weltverbesserern der heutigen Zeit. »Dass man sich in Deutschland über Wagner betrügt, befremdet mich nicht. Die Deutschen haben sich einen Wagner zurechtgemacht, den sie verehren können«, schrieb Nietzsche 1888 in seinem Essay »Nietzsche contra Wagner«.Worte, die auch heute noch aktuell klingen.

Der Autor ist Pianist, Professor für Musikwissenschaft und hat an der Hochschule für Musik Franz Liszt in Weimar den Lehrstuhl für die Geschichte der jüdischen Musik inne.

Fernsehen

»Persischstunden«: Wie eine erfundene Sprache einen Juden rettet

Das Drama auf Arte erzählt von einem jüdischen Belgier, der im KZ als angeblicher Perser einen SS-Mann in Farsi unterrichten soll. Dabei kann er die Sprache gar nicht

von Michael Ranze  23.04.2025

Ausstellung

Das pralle prosaische Leben

Wie Moishe Shagal aus Ljosna bei Witebsk zur Weltmarke Marc Chagall wurde. In Düsseldorf ist das grandiose Frühwerk des Jahrhundertkünstlers zu sehen

von Eugen El  23.04.2025

27. Januar

Der unbekannte Held von Auschwitz

Der »Berufsverbrecher« Otto Küsel rettete Hunderten das Leben. In Polen ist er ein Held, in Deutschland fast unbekannt. Das will Sebastian Christ mit einem Buch ändern, für das er 20 Jahre lang recherchiert hat

 23.04.2025

Sachsenhausen

Gedenken an NS-Zeit: Nachfahren als »Brücke zur Vergangenheit«

Zum Gedenken an die Befreiung des Lagers Sachsenhausen werden noch sechs Überlebende erwartet. Was das für die Erinnerungsarbeit der Zukunft bedeutet

 23.04.2025

Fernsehen

Ungeschminkte Innenansichten in den NS-Alltag

Lange lag der Fokus der NS-Aufarbeitung auf den Intensivtätern in Staat und Militär. Doch auch viele einfache Menschen folgten der Nazi-Ideologie teils begeistert, wie eine vierteilige ARD-Dokureihe eindrucksvoll zeigt

von Manfred Riepe  23.04.2025

Glosse

Der Rest der Welt

Hochzeitsnächte und der Vorhang des Vergessens

von Margalit Edelstein  22.04.2025

Graphic Novel

Therese Giehse in fünf Akten

Barbara Yelins Comic-Biografie der Schauspielerin und Kabarettistin

von Michael Schleicher  22.04.2025

TV-Tipp

Arte-Doku über Emilie Schindler - Nicht nur »die Frau von«

Emilie und Oskar Schindler setzten sich für ihre jüdischen Arbeiter ein. Am 23. April läuft auf Arte eine Doku, die Emilie in den Mittelpunkt rückt

von Leticia Witte  22.04.2025

Kino

Film zu SS-Plantage »Kräutergarten« kommt ins Kino

Der Ort ist fast vergessen: Häftlinge im KZ Dachau erlitten dort Furchtbares. Nun erinnert der Dokumentarfilm »Ein stummer Hund will ich nicht sein« daran

 22.04.2025