Literatur

Der Mann, der »Schindlers Liste« schrieb

Thomas Keneally (l.) Foto: imago images / AAP

Obwohl er seit den 60er-Jahren mehr als 30 Romane geschrieben hat, gilt Thomas Keneally außerhalb seiner australischen Heimat als eine Art »One-Hit-Wonder«. Für immer wird sein Name mit dem Werk »Schindlers Liste« aus dem Jahr 1982 verbunden bleiben, dem Steven Spielberg elf Jahre später in einem der erfolgreichsten Filme aller Zeiten ein Denkmal für die Ewigkeit setzte.

Welchen unglaublichen Einfluss sein Werk haben würde, konnte Keneally damals nicht ahnen. »Ich war doch nur ein junger Schreiberling, der versuchte, eine Geschichte zu erzählen, die mich fasziniert hatte«, sagt er im Interview der Deutschen Presse-Agentur bescheiden. Heute wird der in Sydney geborene Autor 85 Jahre alt.

Als Schindler den brutalen Umgang der Deutschen mit den Juden sah, beschloss er zu versuchen, möglichst viele seiner Beschäftigten zu retten.

Dabei beruhte die Entstehung des Buches nur auf einem glücklichen Zufall: 1980 traf Keneally auf dem Weg zum Flughafen von Los Angeles in einem Geschäft auf Leopold »Poldek« Pfefferberg. »Ich kenne eine wunderbare Geschichte«, sagte der und erzählte, wie Oskar Schindler ihn und viele andere vor dem sicheren Tod in einem SS-Lager gerettet hatte. Pfefferberg nahm den Schriftsteller, dessen Name ihm bekannt war, mit in einen Hinterraum. »Dort zeigte er mir die erste Kopie von Schindlers Liste, die ich je gesehen habe«, erinnert sich Keneally. »Ich dachte: Wow! Das ist eine erstaunliche Story.«

Dennoch blieb der Mann aus Down Under skeptisch, ob er der Richtige war, um die Geschichte aufzuschreiben. »Poldek gab mir alle seine Unterlagen, aber ich sagte: Ich kann das nicht schreiben, ich bin nicht einmal ein Europäer, geschweige denn ein Jude.« Pfefferberg habe ihn aber weiter ermuntert, die Sache in Angriff zu nehmen, gerade weil der Australier nicht vorbelastet war und die Ereignisse mit dem nötigen Abstand betrachten konnte. Den geplanten Rückflug in die Heimat trat Keneally an jenem Tag jedenfalls nicht mehr an.

Der Industrielle Oskar Schindler (1908-1974) betrieb im von den Nationalsozialisten besetzten Polen eine Emaille- und Munitionsfabrik. Die Angestellten waren größtenteils jüdische Zwangsarbeiter. Als Schindler den brutalen Umgang der Deutschen mit den Juden sah, beschloss er zu versuchen, möglichst viele seiner Beschäftigten zu retten. So entstand eine Liste mit Namen angeblich »kriegswichtiger« Arbeiter, die in eine neue Fabrik in Brünnlitz umgesiedelt wurden. Die SS bewilligte Schindler auch dank Bestechung am Ende 800 Männer und 300 Frauen, die so das Nazi-Grauen überlebten.

1982 erhielt der Autor für den Roman den begehrten Booker Prize.

Für ihre Recherchen reisten Keneally und Pfefferberg um die Welt, nach Österreich, Polen, Israel und Argentinien. Sie interviewten Augenzeugen und trugen Dokumente, Briefe und private Aufzeichnungen zusammen, mit denen Keneally die Geschehnisse rund um die Liste rekonstruieren konnte. »Poldek war dabei von wesentlicher Bedeutung, weil die Überlebenden ihn akzeptierten und sonst nicht so frei darüber gesprochen hätten, was sie durchgemacht haben«, sagt er.

Sein Buch nennt er »Schindler’s Ark«, Schindlers Arche. In den USA erscheint das Werk hingegen als »Schindlers Liste«. Viele Menschen dächten, Spielberg habe den Originaltitel erst für seinen Film geändert, aber das sei falsch: »Keine Sorge, Spielberg hatte damit nichts zu tun!«, sagt Keneally mit einem herzhaften Lacher.

1982 erhielt er für den Roman den begehrten Booker Prize. »Eine wahre Heldengeschichte aus dem Krieg und ein großes Denkmal für den Kampf gegen den Naziterror«, lobte der Holocaust-Überlebende Simon Wiesenthal das Buch. Die renommierte »New York Times« umriss es als »gewagte Synthese von Fiktion und Fakt«. Keneallys Werk beweise, »dass die Wahrheit wirklich oftmals seltsamer ist als die Fiktion«.

Später war es Poldek Pfefferberg, der Spielberg zum Dreh seines Holocaust-Dramas auf Grundlage des Romans überredete. Er habe dem Filmemacher gesagt, dass er aufhören solle, Filme wie »Gremlins« zu drehen, wenn er einen Academy Award gewinnen wolle, erzählt Keneally. »Einen Oscar für Oskar!«, habe Pfefferberg den Regisseur gelockt. Und tatsächlich: Spielberg räumte 1994 satte sieben Oscars ab.

Seinen Geburtstag will er mit den vier Enkeln bei einem Abendessen feiern. Schreibmüde ist der Romancier auch im Alter nicht.

Keneally, der ursprünglich ein Priesterseminar besuchte und dann als Lehrer und Dozent arbeitete, hat in seiner langen Karriere oft sein Talent bewiesen. Dem Debütroman »The Place at Whitton« (1964) folgten zahlreiche vor allem historische Romane sowie Sach- und Drehbücher. Die thematische Spannbreite reicht von den australischen Ureinwohnern über den amerikanischen Bürgerkrieg bis ins zeitgenössische Afrika. In seiner Heimat ist Keneally berühmt. Auf Deutsch erschien hingegen neben »Schindlers Liste« nur »Eine Stadt am Fluss« (1995).

Seinen Geburtstag will er mit den vier Enkeln bei einem Abendessen feiern. Schreibmüde ist der Romancier auch im Alter nicht. Gerade arbeitet er an einem Buch über Irland und die Sklaverei. »Das wird ein dicker Roman. Ich schreibe ihn in zwei Teilen«, verrät er. Aber er weiß selbst, dass er mit »Schindlers Liste« vor fast 40 Jahren den Wurf seines Lebens gelandet hat. Dabei vergisst er nie, wer ihn auf die Spur dieser Geschichte brachte. Das Buch trägt die Widmung: »Dem Andenken von Oskar Schindler und für Leopold Pfefferberg, dessen Beharrlichkeit dieses Buch seine Entstehung verdankt.«

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