Eigentlich wollte er Fußballspieler werden. Doch Welt- und Musikgeschichte nahmen ihren Lauf, und aus Mariss Jansons wurde einer der bedeutendsten, meistbewunderten und -gefeierten Dirigenten seiner Generation. Schon die Umstände seiner Geburt wiesen ins Außergewöhnliche: So brachte ihn seine Mutter, um ihn vor den NS-Lagerschergen zu schützen, in einem Versteck im Ghetto von Riga zur Welt, am 14. Januar 1943.
Die Familie überlebte die deutsche Besatzung Lettlands; Jansons’ Mutter, die lettisch-jüdische Mezzosopranistin Iraida Jansons, wurde zur angesehenen Diva an der Rigaer Oper, und 1946 ging sein Vater Arvid Jansons als Assistent von Jewgeni Mrawinski zu den Leningrader Philharmonikern. Frau und Sohn folgten ihm 1956.
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konservatorium In Leningrad widmete sich der junge Mariss Jansons am renommierten Konservatorium dem Studium von Violine, Klavier und Dirigieren. 1969 wechselte er nach Wien und setzte dort seine Ausbildung bei den legendären Maestri Herbert von Karajan und Hans Swarowsky fort, bevor er in die Sowjetunion zurückkehrte, um dort in die musikalischen Fußstapfen seines Vaters zu treten und zunächst Mrawinskis Assistent und 1973 sein Stellvertreter zu werden.
Nachdem Jansons, dem bald der Ruf eines »Gentleman« und »Intellektuellen am Dirigentenpult« vorauseilte, ab 1979 unter anderem die musikalische Leitung der Orchester von Oslo und Pittsburgh innegehabt hatte, übernahm er 2003 das Chefdirigat von Chor und Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks; mit der zeitgleichen Leitung des Amsterdamer Concertgebouw-Orchesters stand Jansons von 2004 bis 2015 zweien der exquisitesten Klangkörper der Welt vor.
Jansons schuf eine musikalische Welt, in der man sich zu Hause fühlte, voller Wärme und Esprit.
Ein Jahr später hielt der langjährige erste Violinist der Berliner Philharmoniker, Peter Brem, über den Maestro fest: »Über ihn gibt es keine Anekdoten zu erzählen und auch keine Skandale zu berichten – einfach, weil er überhaupt keine Allüren hat.« Und weiter: »Jansons ist liebenswürdig, warmherzig, gutmütig, wenn auch streng in allen Angelegenheiten der Musik.«
einspielungen Attribute, die man förmlich spüren konnte, wenn Jansons den Taktstock hob, und die man aus seinen zahlreichen Einspielungen – seien es Schostakowitsch oder Tschaikowsky, Mahler oder Strauss, Brahms oder Dvorak – weiterhin heraushören kann. Und Attribute, die er bereits 2013 in einem anlässlich seiner Ehrung mit dem Ernst-von-Siemens-Musikpreis, »dem Nobelpreis der Musik«, geführten Interview nahezu übereinstimmend seiner Mutter Iraida zugesprochen hatte: »Meine Mutter hat mir den Weg zur Religion gezeigt. Nicht als etwas Dogmatisches: Sie war Jüdin, hat mich lutherisch taufen lassen, als wäre es selbstverständlich, aber sie hat mich weder jüdisch noch christlich erzogen. Ihr religiöses Gefühl war universell und bestand hauptsächlich aus Ethik, Verantwortungsgefühl, Lebenswerten, Gewissenhaftigkeit.«
Auf diesen Säulen schuf Jansons eine musikalische Welt, in der man sich zu Hause fühlte, voller Wärme und Esprit. Und zugleich voller Perfektion und Temperament – oft bis zur totalen Verausgabung. Nachdem er bereits 1996 in Oslo beim Dirigieren von La Bohème einen lebensbedrohlichen Herzinfarkt erlitten hatte, sah sich Jansons zuletzt im vergangenen Sommer auf ärztlichen Rat hin dazu veranlasst, mehrere Konzerte von jüngeren Kollegen leiten zu lassen.
In der Nacht zum vergangenen Sonntag ist Mariss Jansons in Sankt Petersburg gestorben, wenige Wochen vor seinem 77. Geburtstag. Mit ihm verliert die Musikwelt einen Giganten, eine künstlerische wie menschliche Ausnahmeerscheinung, einen ihrer letzten Gentlemen.