Nachruf

Der letzte Galizianer

Adam Zielinski 1929-2010 Foto: dpa

Den Schriftsteller Adam Zielinski lernte ich im Herbst 2001 kennen. Im Wieser-Verlag war sein Buch Jan war Jossele erschienen. Mich berührte damals, dass da einer schrieb, der den Holocaust als Waise im Untergrund in Lemberg überlebt hatte und keineswegs melodramatisch auf diese Zeit zurückblickte, sondern als Konsequenz daraus auf Versöhnung gehofft und immer darauf hingearbeitet hatte. Mein Entschluss stand fest: Diesen Mann musst du kennenlernen! Die Gelegenheit ergab sich im Dezember 2004. Lojze Wieser präsentierte eine 10-bändige Werkausgabe, ich war dabei und interviewte Adam Zielinski über eine Stunde lang. Zurück in Bielefeld machte ich aus dem Interview eine Radiosendung. Und wandte mich anderen Arbeiten zu. Aber irgendwie hatte es mich gepackt – dieses Leben, dieses Werk. So kam es, dass ich Adam Zielinskis Biografie schrieb, die zu seinem 80. Geburtstag 2009 erschien.

Die Zusammenarbeit begann im Frühjahr 2005 mit einer Ordensverleihung im Prunksaal der Wiener Staatsbibliothek. Adam war nicht nur ein be- und geachteter Schriftsteller, er war auch jemand in der Wiener Gesellschaft. Aber das spielte in unseren vielen, stundenlangen Gesprächen keine Rolle. Wir konzentrierten uns auf sein Leben, sein Überleben. Im Alter von zehn Jahren wurde Adam vehement darauf gestoßen, dass er Jude war. Die Wehrmacht war in seiner Heimatstadt Drohobycz einmarschiert. 18.000 Juden gab es in dem galizischen Ort. 19 von ihnen überlebten die Schoa, unter ihnen Adam Zielinski. Nach dem Krieg studierte er in Krakau und Warschau, arbeitete beim Hörfunk. 1956 emigrierte er nach Wien, wo er sich als Geschäftsmann eine Existenz aufbaute. Und Bücher schrieb, über seine Heimat Galizien, das einstige österreichisch-ungarische Königreich mit hohem jüdischen Bevölkerungsanteil, das heute teils zu Polen, teils zur Ukraine gehört. »Galizien«, sagte Adam, »ist ein geografisches Revier, das auf keiner Landkarte zu finden ist. Trotzdem, Galizien existiert in unseren Herzen und in unseren Gehirnen.«

vermächtnis Das letzte Mal habe ich Adam Mitte Mai getroffen. Ich war gerade zurückgekommen von einer Tagung bei Brünn, wo ich über die Auslöschung der Jüdischen Gemeinde von Stryj gesprochen hatte. Adam interessierte sich sehr für dieses Projekt, weil ich im Rahmen meiner Recherchen auf Zeugenaussagen über das erste Massaker in Stryj im September 1941 gestoßen war, bei dem sein Vater zusammen mit rund 1.000 anderen Opfern ermordet worden war. Wir sprachen auch über seine Krankheit. Und dass er wieder in die Klinik gehen werde. Wir waren beide zuversichtlich. Kurz hatten wir auch über sein letztes Manuskript gesprochen, das wir gemeinsam durchgehen wollten. Im Schtetl erzählt die Geschichte einer galizischen jüdischen Gemeinde. Nun wird dieses Buch, er erscheint im August, Adam Zielinskis literarisches Vermächtnis.

Ulrich Schmidt ist Autor der Biografie »Die neun Leben des Adam Zielinski« (Wieser, Wien 2009, 300 S., 21 €)

Programm

Termine und TV-Tipps

Termine und Tipps für den Zeitraum vom 20. Februar bis zum 27. Februar

 21.02.2025

Berlinale

»Das verdient kein öffentliches Geld«

Der Berliner CDU-Fraktionschef Dirk Stettner hat seine Karte für die Abschlussgala zerrissen – und will die Förderung für das Filmfestival streichen

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NS-Raubkunst: Zentralrat fordert schnelle Aufklärung

Der Zentralrat der Juden verlangt von den Verantwortlichen im Freistaat, die in der »Süddeutschen Zeitung« erhobenen Vorwürfe schnell zu klären

 20.02.2025

Kolumne

Unentschlossen vor der Wahl? Sie sind in guter Gesellschaft – mit Maimonides

Der jüdische Weise befasste sich mit der Frage: Sollten wir als Kopfmenschen mit all unserem Wissen auch bei Lebensentscheidendem dem Instinkt vertrauen?

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Berlin

Eine krasse Show hinlegen

Noah Levi trat beim deutschen Vorentscheid für den Eurovision Song Contest an. In die nächste Runde kam er nicht, seinen Weg geht er trotzdem

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NS-Unrecht

Jüdische Erben: »Bayern hat uns betrogen« - Claims Conference spricht von »Vertrauensbruch«

Laut »Süddeutscher Zeitung« ist der Freistaat im Besitz von 200 eindeutig als NS-Raubkunst identifizierten Kunstwerken, hat dies der Öffentlichkeit aber jahrelang verheimlicht

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Literatur

»Die Mazze-Packung kreiste wie ein Joint«

Jakob Heins neuer Roman handelt von einer berauschenden Idee in der DDR. Ein Gespräch über Cannabis, schreibende Ärzte und jüdischen Schinken

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Berlinale

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Sternstunde des Kinos: Eine Doku widmet sich David Cunio, der am 7. Oktober 2023 nach Gaza entführt wurde, und seinem Zwillingsbruder Eitan, der in Israel auf ihn wartet

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Berlin

»Sind enttäuscht« - Berlinale äußert sich zu Antisemitismus-Skandal

»Beiträge, die das Existenzrecht Israels infrage stellen, überschreiten in Deutschland und auf der Berlinale eine rote Linie«, heißt es in einer Erklärung des Festivals

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