Kulturwissenschaft

Der jüdische Jules Verne

An der Schnellstraße von Haifa nach Tel Aviv sieht man nahe der Stadt, die seinen Namen trägt, Herzliya, linker Hand das überdimensionierte Porträt: Theodor Herzl auf einem Wassertank, während unter ihm der Straßenverkehr unermüdlich dahinfließt. Das Denkmal ist ein Beitrag der Stadtverwaltung Herzliyas, das zionistische Bewusstsein in Israel zu vertiefen.

Auch mehr als 100 Jahre nach seinem ersten Auftreten als Zionist ist Herzl im heutigen Israel allgegenwärtig: keine Stadt ohne Herzl-Straße, ganz zu schweigen von all den Institutionen, Museen, Schulen, die seinen Namen tragen. Auf Baseball-Kappen wie auf T-Shirts – überall sein Konterfei.

Kritiker warfen dem Verfasser des Judenstaats vor, Israel werde von Propheten, nicht von Diplomaten gerettet werden. Doch viele sahen in Herzl beides. Überall, wo Herzl auftrat, riss er die Menschen mit. Für viele war er ein moderner Moses, der die Juden ins Gelobte Land zurückführen würde. Schon zu seinen Lebzeiten war er ein Mythos. Und danach erst recht. In seinem Testament heißt es etwas großspurig: »Mein Name wird nach dem Tode wachsen.« Damit sollte er Recht behalten. Auch heute noch ist der Begriff »Prophet des Staates«, »Chose hamedina«, allein mit seinem Namen verbunden.

Identität Bislang fehlte es an einer umfassenden Untersuchung zu Herzl im Kollektivgedächtnis Israels. Das hat Andrea Livnat jetzt geändert. Sie wirft einen fokussierten Blick auf die Bereiche der »Mainstream«-Gesellschaft, die um die Herzl-Gedenkkultur wetteifern. Jede Generation schafft sich »ihren« Herzl, der zur Vergewisserung der eigenen Identität beiträgt.

Herzl war ein realistischer Träumer – ein jüdischer Jules Verne. Seine prophetischen Worte, dass der Staat der Juden in spätestens 50 Jahren errichtet sein würde, waren im Jahre 1948 in Erfüllung gegangen. Mit Herzls Grab auf dem nach ihm benannten Berg in Jerusalem war ein Ort der Identifikation des jungen Staates geschaffen, der einen wichtigen Platz in der Gedenkkultur des Landes als säkularer Kristallisationspunkt der zionistischen Errungenschaften hat.

Doch in der jungen Generation scheint das Wissen um Herzls historische Leistungen gering: Nach einer Umfrage unter Jugendlichen, die 2004 zu Herzls 100. Todesjahr durchgeführt wurde, wussten 54 Prozent der Befragten nicht, wer Herzl war. Im selben Jahr verabschiedete die Knesset ein Gesetz, dass den 10. Ijar, Herzls Geburtstag nach dem jüdischen Kalender, als offiziellen »Herzl-Tag« festlegt, an dem in Schule und Armee pädagogische Aktivitäten zu seinem Wirken stattfinden sollen.

Schon immer versuchten die verschiedenen Parteien, Herzl als Legitimation anzuführen und den »wahren« Zionismus für sich zu beanspruchen. Erst durch die Ideologie des »Postzionismus« wurde der Boden dafür bereitet, dass die Person Herzl in einem anderen Licht bewertet werden kann.

Ikone Andrea Livnat hat einen grundlegenden, durch seinen leichtfüßigen Stil bestechenden Beitrag zur Erinnerungsforschung geleistet, indem sie eine Antwort darauf gibt, wie Herzls Legende in dem von ihm erträumten »Judenstaat« weiterlebt und der »Prophet des Staates« den Sprung aus dem Vergessen geschafft hat – während gleichzeitig das konkrete Wissen über die Person selbst deutlich abnimmt.

Seit einigen Jahren sind in Jerusalem und Tel Aviv überall Graffiti von Herzl zu sehen. Sie weisen den Betrachter auf dessen berühmten Satz »Wenn Ihr wollt, ist es kein Märchen« und zugleich auf die verpassten Chancen durch eine Abwandlung im Text hin: »Lo rozim, lo zarich ...« – »Wenn Ihr aber nicht wollt, so bleibt es ein Märchen, was ich Euch erzählt habe.« Dieser Versuch, Herzl als mahnende Ikone in den Alltag einzubringen, zeigt, dass er ein zentrales Symbol des Staates Israel bleibt, dessen Botschaft noch immer aktuell ist.

Andrea Livnat: »Der Prophet des Staates. Theodor Herzl im kollektiven Gedächtnis Israels«, Campus, Frankfurt/M. 2011, 307 S., 34,90 €

Porträt

»Das war spitze!«

Hans Rosenthal hat in einem Versteck in Berlin den Holocaust überlebt. Später war er einer der wichtigsten Entertainer Westdeutschlands. Zum 100. Geburtstag zeigt ein ZDF-Spielfilm seine beiden Leben

von Christof Bock  07.04.2025

Gert Rosenthal

»Mein Vater war sehr bodenständig«

Am 2. April wäre Hans Rosenthal 100 Jahre alt geworden. Zum Jubiläum würdigt ihn das ZDF. Ein Gespräch mit seinem Sohn Gert über öffentliche und private Seiten des Quizmasters

von Katrin Richter  07.04.2025 Aktualisiert

Hans Rosenthal

»Zunächst wurde er von den Deutschen verfolgt - dann bejubelt«

Er überlebte den Holocaust als versteckter Jude, als Quizmaster liebte ihn Deutschland: Hans Rosenthal. Seine Kinder sprechen über sein Vermächtnis und die Erinnerung an ihren Vater

von Katharina Zeckau  07.04.2025

Geschichte

»Der ist auch a Jid«

Vor 54 Jahren lief Hans Rosenthals »Dalli Dalli« zum ersten Mal im Fernsehen. Unser Autor erinnert sich daran, wie wichtig die Sendung für die junge Bundesrepublik und deutsche Juden war

von Lorenz S. Beckhardt  07.04.2025 Aktualisiert

Jubiläum

Immer auf dem Sprung

Der Mann flitzte förmlich zu schmissigen Big-Band-Klängen auf die Bühne. »Tempo ist unsere Devise«, so Hans Rosenthal bei der Premiere von »Dalli Dalli«. Das TV-Ratespiel bleibt nicht sein einziges Vermächtnis

von Joachim Heinz  07.04.2025

Interview

Günther Jauch: »Hans Rosenthal war ein Idol meiner Kindheit«

Der TV-Moderator über den legendären jüdischen Showmaster und seinen eigenen Auftritt bei »Dalli Dalli« vor 42 Jahren

von Michael Thaidigsmann  07.04.2025

Berlin

Hans Rosenthal entdeckte Show-Ideen in Fabriken

Zum 100. Geburtstag des jüdischen Entertainers erzählen seine Kinder über die Pläne, die er vor seinem Tod noch hatte. Ein »Dalli Dalli«-Nachfolger lag schon in der Schublade

von Christof Bock  07.04.2025

Antisemitismus

Gert Rosenthal: »Würde nicht mit Kippa durch Neukölln laufen«

Die Bedrohung durch Antisemitismus belastet viele Jüdinnen und Juden. Auch Gert Rosenthal sieht die Situation kritisch - und erläutert, welche Rolle sein Vater, der Entertainer Hans Rosenthal, heute spielen würde

 07.04.2025

Cuxhaven

Zentralrat der Juden: Deichbrand-Festival für Juden kein sicherer Ort mehr

Als Grund gibt der Dachverband von jüdischen Gemeinden und Landesverbänden in Deutschland den geplanten Auftritt des US-Rappers Macklemore an

 07.04.2025