Als der Kommunismus zusammenbrach, konnten einige seiner schärfsten Kritiker dies nicht mehr erleben. So war bereits am 5. Februar 1984 mit Manès Sperber einer der wortgewaltigsten unter ihnen gestorben. Zusammen mit Arthur Koestler gehörte er zu jener Gruppe jüdischer »Renegaten«, die anfangs ihre Hoffnungen in die Sowjetunion gesetzt hatten und vom stalinistischen Terror unsanft geweckt wurden. Ihre Biografien lesen sich wie Abenteuerromane: Nächtelange Diskussionen, Konspiration, Flucht, Verrat und Brudermord waren Teil ihrer bitteren Erfahrungen.
Manès Sperber kam am 12. Dezember 1905 im ostgalizischen Schtetl Zablotow zur Welt. Die ersten Jahre seines Lebens waren vom Judentum geprägt. Obwohl sich Sperber bereits früh gegen die Religion entschieden hatte, bildete die Begegnung mit dem jüdischen Messianismus in jenen Jahren einen wichtigen Bezugspunkt für sein gesamtes Leben. »Es mag sein«, schrieb er später, »dass ich, seit ich denken kann, keiner Idee begegnet bin, die mich so überwältigt und meinen Weg so stetig bestimmt hat wie die Idee, dass diese Welt nicht bleiben kann, wie sie ist, und dass sie ganz anders werden kann und dass sie es werden wird.«
Haschomer Hatzair Der Erste Weltkrieg beendet das ruhige Leben in Zablotow. Als 13-Jähriger flüchtet Sperber mit seiner Familie nach Wien, wo er die Ausrufung der Republik erlebt. Sperber liest viel und stürzt sich in die Abenteuer des urbanen Lebens. Er tritt zunächst der sozialistisch-zionistischen Jugendorganisation Haschomer Hatzair bei, schließt sich aber schon bald den Kommunisten an.
Mit 16 Jahren trifft er auf Alfred Adler, den Begründer der Individualpsychologie. Dieser ist von Sperbers Auffassungsgabe begeistert, macht ihn zu seinem Schüler und schickt ihn 1927 nach Berlin, um dort die Individualpsychologie zu fördern. In Deutschland engagiert er sich aber vor allem für den Kommunismus und wird 1933 verhaftet. Als österreichischer Staatsbürger kommt er frei und kehrt nach Wien zurück. Dann führt ihn sein politisches Engagement nach Paris, wo er mit dem sowjetischen Chefpropagandisten Willi Münzenberg und Arthur Koestler zusammenarbeitet.
Die Entfremdung von der Sowjetunion begann für Sperber, als die KPD 1931 zusammen mit den Nazis die Auflösung des preußischen Landtags forderte. Doch kommt der endgültige Bruch mit den Moskauer Schauprozessen 1937. Danach führt Sperber einen Zweifrontenkrieg: gegen den Nationalsozialismus wie den Stalinismus – beide trachten ihm nach dem Leben. Der Einsamkeit dieses Kampfes setzte Sperber später in seiner Romantrilogie Wie eine Träne im Ozean ein literarisches Denkmal.
Loyalität Sperber blieb Zeit seines Lebens ein jüdischer Denker. Nicht zuletzt der Churban, wie er den Mord an den europäischen Juden ausschließlich nannte, erforderte unbedingte Loyalität zum Judentum. »Weder damals noch vorher, noch nachher – niemals«, schrieb er in seinen Erinnerungen, »habe ich auch nur einen Atemzug lang erwogen, mein Judentum zu verleugnen oder aus der jüdischen Glaubensgemeinschaft auszutreten, solange noch irgendwo auf dem Erdenrund Juden wegen ihres Glaubens verfolgt, wegen ihrer Abstammung diskrimiert werden.«
Aufmerksam verfolgte Sperber die Gründung Israels und besuchte das Land mehrfach. Vor allem die Armee des jungen Staates, so Sperber, mache der Welt ein für alle Mal klar, »dass man von jetzt an den Juden nicht so leicht und nicht mehr ungestraft werde töten können.«
Manès Sperber blieb bis zu seinem Tod ein Einzelner, der sich gleichermaßen gegen rechte wie linke Ideologien aussprach. Seine Aufgabe als Intellektueller sah er darin, als »Erinnerer« seiner ermordeten Freunde und Weggefährten zu wirken.