Musik

Der Jazz und die Juden

Aus dem deutschen Jazz der vergangenen Jahrzehnte ist Peter Herbolzheimer nicht wegzudenken. Das 1935 in Bukarest als Sohn einer rumänischen Jüdin geborene Multitalent begann in den 50er-Jahren, als Posaunist mit diversen Jazz-Bands zu spielen. Später gründete er Rhythm Combination & Brass, eine der ersten deutschen Jazz-Funk-Formationen mit einer enormen Bläsersektion.

Als Arrangeur, Komponist und Bandleader mit dem Spitznamen »Fat Man«, den sich das Schwergewicht selbst gab, war er ebenfalls sehr beschäftigt. Fans nannten ihn auch »Dr. Big Band«, denn eine weitere Aufgabe, die er oft wahrnahm, bestand darin, lahm klingende Big Bands ordentlich aufzupeppen, was ihm sehr lag.

HERB GELLER Wenige Jahre, bevor er starb, erzählte Herbolzheimer in Cafés Storys über seine Touren und Aufnahmen mit Kolleginnen wie Herb Geller, einem weiteren Jazz-Genie jüdischer Herkunft. Geller, der ursprünglich aus Los Angeles stammte, war 28 Jahre lang als »Lead Alto-Saxofonist« für die NDR Big Band in Hamburg tätig. Sein Grab befindet sich auf dem Alten Niendorfer Friedhof.

Herbie Mann war der Prototyp eines jüdischen Jazz-Genies.

In Herbolzheimers Erzählungen kamen fast alle Kollegen sehr gut weg, bis auf Stan Getz, der 1991 verstorbene Star-Saxofonist, den er mit einem nicht jugendfreien Schimpfwort belegte, aber hinzufügte, er sei trotz allem »der Beste« gewesen. Getz war ein weiterer, begnadeter Musiker jüdischer Herkunft, dessen Großeltern väterlicherseits vor der Judenverfolgung in Kiew in die USA flohen.

Bereits lange vor Herbolzheimer gab es große jüdische Jazz-Musiker in Deutschland, darunter Rudolf Anhang, ein Gitarrist und Banjospieler. Im Jahr 1925 gründete er eine Formation mit dem schnittigen Namen Original Atlantik Band, die vor allem in den Nordseebädern gastierte. Die Nazis stoppten sein Wirken mit einem Berufsverbot. Er floh.

COCO SCHUMANN Heinz Jakob »Coco« Schumann kam nicht dazu zu fliehen. Der 1924 geborene Berliner Jazzer wurde als Autodidakt Swing-Schlagzeuger und -Gitarrist. Die Nazis deportierten den Bandleader und Komponisten ins Vorzeigeghetto Theresienstadt, wo er als »Geltungsjude« weiterhin Jazz spielen musste.

Nach den Dreharbeiten für einen Propagandafilm über das KZ wurden alle Beteiligten, inklusive Schumann, nach Auschwitz transportiert. »Coco« war einer der wenigen, die überlebten.

Weitaus mehr jüdische Jazz-Größen waren und sind in den USA tätig. Einer der Pioniere, William Henry Joseph »The Lion« Bonaparte Bertholoff, wurde 1883 im Bundesstaat New York geboren. Sein Vater war Jude, seine Mutter »Spanierin, eine Schwarze und hatte auch Mohawk-indianisches Blut«, wie es in Bertholoffs Memoiren hieß. Für »The Lion« begann früh eine gute Jazz-Karriere, aus der von 1957 bis 1977 17 Schallplatten hervorgingen.

Eines der ersten Stücke, das »The Lion« spielte, da er es in Klubs gehört hatte, war der »Maple Leaf Rag« von Scott Joplin, einem weiteren Genie. Dieser Afroamerikaner war zwar kein Jude. Eine »German-Jewish Jazz connection« gab es jedoch: Joplin wurde von Julius Weiss unterrichtet, der 1840 in Sachsen geboren wurde und etwa 1870 in die Vereinigten Staaten auswanderte, da ihm in der alten Heimat Judenhass entgegenschlug.

GEORGE GERSHWIN Im amerikanisch-jüdischen Jazz sind auch George und Ira Gershwin Namen, deren Bedeutung nicht zu unterschätzen ist, ebenso wie Irving Berlin, Teddy Charles, Joe Glasser, Lee Konitz und natürlich die auch als King of Swing bekannte Legende Benny Goodman, der 1986 verstarb. Während in Europa der Zweite Weltkrieg tobte, leitete er Swing-Big-Bands. In Zeiten der Rassentrennung in Amerika lebte er Inklusion vor, indem er auch schwarze Musiker in seine Gruppen aufnahm.

Im Bereich Contemporary Jazz ist mit dem 2003 verstorbenen Herbie Mann viel Faszination verbunden. Er war der Prototyp eines jüdischen Jazz-Genies. Dass sich der in Brooklyn geborene Querflötist wenig um das eher traditionelle Verständnis des Jazz scherte und die »Jazz-Polizei« ignorierte, machte ihn noch sympathischer, als er ohnehin war.

Was an einem Ort als Kitsch gilt, kann andernorts durchaus hip sein.

Der Saxofonist Jay Beckenstein, ein weiterer Jude, betreibt seit 1974 die Jazz-, Fusion- und Jazz-Funk-Formation Spyro Gyra, die weiterhin auch in Deutschland viele Fans hat und erst im vergangenen Jahr in Leverkusen und in Dresden auftrat.

Ben Sidran, ein weiteres Musterbeispiel für ein jüdisches Jazz-Genie, ist dafür bekannt, absolut alle Genres zu bearbeiten, an denen er vorbeikommt. Der Pianist liefert seit 1970 alles von Straight Ahead Jazz bis Jazz-Funk, aber auch »Message Songs«. Sein 19. von bisher 30 Alben, Life’s a Lesson, enthält eine höchst interessante Mischung aus Jazz, Lyrik und israelischen Songs. Sogar der Klang des Schofars ist enthalten.

KENNY GORELICK An Kenny Gorelick scheiden sich die Geister. Der ebenfalls jüdische Saxofonist und Komponist ist die Personifizierung des kommerziellen Jazz aus den Vereinigten Staaten und vermutlich einer der erfolgreichsten Jazz-Musiker aller Zeiten. In Europa wurde er innerhalb der Jazz-Gemeinde zu einer Art Schreckgespenst, da der von ihm an den Tag gelegte Kitsch- und Kommerz-Level gerade hier auf Ablehnung stößt. Was an einem Ort als Kitsch gilt, kann andernorts aber durchaus hip sein.

Von Haus aus ist Kenny Gorelick aus Seattle allerdings eindeutig ein Jazz-Funk-Interpret, wie seine Zusammenarbeit mit dem Keyboarder Jeff Lorber in dessen Gruppe Jeff Lorber Fusion vor vier Jahrzehnten beweist.
Lorber ist ein weiteres jüdisches Mitglied der internationalen Jazz-Familie und liefert brillante Klänge, die die Energie und Faszination des Funk-Genres mit Jazz-Improvisation verbinden.

Extrem viel Einfluss im Jazz hat seit Jahrzehnten der heute 88-jährige Pianist, Komponist, Produzent und Schallplattenlabel-Gründer Dave Grusin: ein Multitalent, dessen Vater Jude war. Zehn Grammys und ein Oscar stehen in seinem Regal.

Der große Peter Herbolzheimer hätte Grammys definitiv ebenso verdient. Er erhielt allerdings das Bundesverdienstkreuz in zwei Ausführungen, den Frankfurter Musikpreis und weitere Ehrungen. Qualitativ hochwertigen Jazz lieferte er ebenfalls zuhauf, auf 25 Studioalben von Swing bis Jazz-Funk. Viele Jahre spielte Herbolzheimer übrigens auch Posaune in Udo Lindenbergs Panikorchester.

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