Ein bisschen war wohl auch die Berliner Volksbühne schuld daran, dass Giora Feidman heute ohne jeden Zwischenton behaupten kann: »Deutschland ist meine Heimat.«
1984 hatte Regie-Legende Peter Zadek eine provokante Idee. Er lud Feidman ein, in seiner Inszenierung von Jehoschua Sobols Stück Ghetto mitzuspielen. Ein Panoptikum menschlicher Abgründe während der deutschen Besatzung im Ghetto von Vilnius.
RÜCKBLICK »Ich trug einen gelben Stern«, erinnert sich Feidman später im Gespräch mit dieser Zeitung. »Manche Schauspieler trugen eine SS-Uniform. Ich konnte nachts nicht schlafen. Meine Frau versuchte, mich zur Abreise zu überreden. Aber ich habe durchgehalten und irgendwann den Mut der Deutschen bewundert, das auf die Bühne zu bringen und sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen. Sowohl mein Vater als auch meine Mutter verloren viele Familienmitglieder während der Schoa. Ich bin mit vielen grausamen Geschichten über die Deutschen aufgewachsen. Heute kann ich sagen: Berlin ist inzwischen mein zweites Zuhause.«
Giora Feidman hat stets fest daran geglaubt, dass Menschen, solange sie gemeinsam musizieren, keine Feinde sein können.
Giora Feidman wurde heute vor 85 Jahren in Buenos Aires geboren. Seine Eltern waren bessarabische Juden, die Anfang des 20. Jahrhunderts vor den antisemitischen Pogromen flüchten mussten. Als Kind wurde schnell sein Talent entdeckt, er spielte am Teatro Colon und wanderte mit 22 Jahren in den jungen Staat Israel aus. Hier heuerte der inzwischen erfolgreichste Klezmermusiker als Klarinettist im ebenfalls jungen Philharmonischen Orchester an.
Das 85-jährige Leben von Giora Feidman ist ein Leben andauernder Grenzüberschreitungen im Dienste der Musik. Als Kind und Jugendlicher spielte er – so wie seine Vorfahren – am liebsten und mit großer Leidenschaft bei Hochzeiten und Barmizwa-Feiern. In Israel hat Feidman dann das klassische Repertoire »gefressen«: Schubert, Mozart, Beethoven. Er hat mit Giganten wie Leonard Bernstein oder Rafael Kubelik zusammengearbeitet und ist dann immer öfter als Solist aufgetreten.
FILME Das Repertoire vergrößerte sich: George Gershwin und vor allen Dingen Kompositionen von Gegenwartsmusikern aus Israel wie Ora Bat Chaim oder Betty Olivero. Und schließlich waren da noch die legendären Aufnahmen zu den Filmen Jenseits der Stille und Schindlers Liste, wo Feidman an der Seite von Itzhak Perlman musizierte.
Giora Feidman hat stets fest daran geglaubt, dass Menschen, solange sie gemeinsam musizieren, keine Feinde sein können. Und daran, dass im Soundtrack der Gegenwart das Vergangene immer mitschwingt – aber eben auch die Möglichkeit, einander näherzukommen, einander zu versöhnen und gemeinsam zurückzublicken.
Giora Feidman ist ein Weltenbummler geworden, der seit Jahrzehnten von Konstanz bis Kiel Konzerte gibt.
Irgendwannn habe er verstanden, sagte Giora Feidman einmal, welche Rolle Gott ihm gegeben hat. Dass er durch Peter Zadek Teil der deutschen Kultur geworden sei. Nicht weil, sondern obwohl er Jude ist. »Ich bin Musiker«, betont Feidman gern, »und diene der Gesellschaft. Ich lebe in Israel, aber ich bin auch in Deutschland zu Hause.«
Giora Feidman ist ein Weltenbummler geworden, der seit Jahrzehnten von Konstanz bis Kiel Konzerte gibt. Die Deutschen lieben und verehren seine Musik und seine Kunst, aber neben dem Klarinettisten Giora Feidman auch den Humanisten, den Aussöhner und Friedensboten. Giora Feidman ist ein bisschen wie die Musik selbst: Wer mit ihm zu tun hat, kann nichts Böses denken.