Der Name Gottes ist in allen drei abrahamischen Religionen eine große Sache. Die wichtigsten Gebete der Abrahamiten werden »im Namen Gottes« und »zur Heiligung seines Namens« gesprochen. Die sogenannte Basmala, zu Deutsch: »Im Namen Gottes«, eröffnet mit nur einer Ausnahme alle Suren des Korans und begleitet den Muslim von der Zeugung bis zur Beerdigung.
»In nomine patris«, so beginnt die bekannteste lateinische Gebetsformel (Mt 28,19), und das wichtigste christliche Gebet fängt mit der Bitte an: »Dein Name werde geheiligt« (Mt 6,9). Die Heiligung des Namens ist der Kehrreim des jüdischen Gebets:
Kaddisch Das aramäische Kaddisch (Heiligung), das in manchen Riten bis zu zehnmal täglich rezitiert wird, beginnt fast wie das Vaterunser mit der Bitte: »Erhoben und geheiligt werde Dein Name in der Welt«, und die Keduscha (Heiligung), der Höhepunkt des öffentlichen Achtzehnbittengebetes, beginnt mit der Selbstaufforderung: »Wir wollen Deinen Namen auf Erden heiligen.« Biblisches Beten ist in erster Linie Aus- oder Anrufung des Namens (Gen 4,26), Psalmodieren heißt »Singen des Namens« (Ps 9,3; 61,9; 66,2–4; 68,5; 92,2 ...), die Beter sind »Liebhaber des Namens« (Ohawe Schemecha, 5,12), »Bannerträger« des Namens (Ps 20,6).
In allen angeführten Stellen wird vom »Namen« Gottes gesprochen, er wird aber nicht ausgesprochen. In der Bibel steht der ausgesprochene Name, der Schem HaMephorasch, allerdings 6828-mal da, es ist bei Weitem der häufigste biblische Eigenname, und als Bestandteil steckt er zudem in ungezählten weiteren Personennamen, zum Beispiel in Jeho-schua (JHWH ist Hilfe), in Netan-Jahu (JHWH hat gegeben).
Die Kabbalisten sagen, dass die 304.805 Buchstaben des Pentateuchs, in dem das Tetragramm genau 1820-mal (= 26 x 70) vorkommt, in Wirklichkeit einen einzigen großen Gottesnamen bilden, was man so verstehen kann, dass die biblischen Geschichten und Gesetze Ausschreibungen und Auslegungen des Gottesnamens sind. Umgekehrt bliebe die Bibel ohne Entschlüsselung des Namens ein Buch mit sieben Siegeln. Wenn etwa anstelle der fast 7000 sprechenden Gottesnamen 7000-mal der auf Deutsch fremd anmutende und nichtssagende Name »Jahwe« oder gar der Ersatzname »HERR« dasteht, dann ist das so, wie der Theologe Othmar Keel treffend gesagt hat, als ob jemand 7000-mal mit »Herr Direktor« angesprochen würde, anstelle seines in der Ursprache wie »Eristda« klingenden Namens.
Elohim Allerdings ist die Bibel am Verschwinden des Gottesnamens nicht unschuldig, sie vermeidet zunehmend seinen Gebrauch und ersetzt ihn durch den Gemeinnamen Gott (Elohim), durch Titel wie »HERR« (Adonai), durch Eigenschaften wie Allmächtiger (Schaddai) und Orte wie Himmel (Schamajim), sodass im Neuen Testament, im Talmud und im Koran der Gottesname überhaupt nicht mehr gebraucht wird.
Deshalb wissen wir schon lange nicht mehr, wie JHWH ausgesprochen wurde. Die Aussprache »Jahwe«, die heute in wissenschaftlichen Aufsätzen und in einigen Bibeln vorkommt, ist nur eine wahrscheinliche neuere Rekonstruktion, die nach einigen alten Zeugnissen so auch von den Samaritanern ausgesprochen wurde. Wir Juden nehmen diesen Namen nicht in den Mund.
Wie ist es zum Namenstabu gekommen? Mit dem Verbot des Namensmissbrauchs in den Zehn Geboten und dem drakonischen Blasphemiegesetz (Lev 24,16) hat es nichts zu tun, denn die Bibel spricht den Namen trotz dieser Verbote unbefangen circa 7000-mal aus. Es dürfte eher etwas mit der Durchsetzung des Monotheismus zu tun haben. Denn sobald JHWH alle anderen Götter assimiliert oder eliminiert hat, ist der Eigenname nicht mehr nötig.
Wo es nur einen Papa gibt, da erübrigt sich, wie Keel sagt, ein Eigenname; jeder weiß, wer mit Papa gemeint ist. Der Eigenname erinnert vielmehr daran, dass es Götter mit anderen Eigennamen gab. Das Verschwinden des Gottesnamens ist aber ein Verlust, denn Namen sind in der Bibel nicht willkürlich, es gilt das Nomen-Omen-Prinzip (hebräisch: Kischmo Ken Hu, I Sam 25,25). Der Name ist Programm.
Sinai Was also bedeutet der Gottesname JHWH? Alle großen Offenbarungen am Sinai sind Erklärungen des Gottesnamens (Ex 3,14; 6,2 f.; 20,2 f., 33,18 f., 34, 5–6), besonders aber die erste Offenbarung aus dem brennenden Dornbusch. Dort fragt der Prophet direkt nach dem Namen Gottes (Mah Schemo?). Die Antwort ist nicht, wie in vergleichbaren Fällen (Gen 32,28), JHWH, sondern ein rätselhafter Spruch: Ehjeh Ascher Ehjeh, was Luther mit »Ich werde sein, der ich sein werde« übersetzt.
Von den vielen gelehrten Erklärungen dieses Spruchs ist die des reformierten Theologen und langjährigen Direktors des Internationalen Rats für Christen und Juden (ICCJ) in Heppenheim, Jacob Coos Schoneveld, am meisten überzeugend. Er verweist auf eine ähnlich sperrige Satzkonstruktion in einer Namenserklärung (Gen 31,49) und sieht den Ausdruck als eine Buchstabierung mithilfe eines gleichklingenden Namens (Paranomasie). So wie Herr Eher sich am Telefon gewöhnlich mit »Eher wie Ehe mit ›r‹« meldet, so meldet sich Gott hier mit: Ehjeh wie Ehjeh. Das Wort Ehjeh aber ist auf Hebräisch das Zeitwort sein (Haja, Howe) in der 1. Person Singular Imperfekt im Grundstamm: Ich werde da sein. Der Name JHWH sei also, so die Andeutung, als 3. Person Singular maskulin des Zeitwortes »sein« zu verstehen; Gott heißt »Er wird da sein«. Zwar ist grundsätzlich auch eine Übersetzung im Präsens möglich, was das berühmte absolutistische: »Ich bin, der Ich bin« oder »Ich bin, der ist« ergäbe, aber auf Hebräisch braucht man im Präsens kein Zeitwort (bin, bist, ist), sondern kommt mit dem Fürwort aus (Ani Hu). Gott ist Futur.
Es ist ganz gleichgültig, ob die Alttestamentler mit dieser Etymologie des Gottesnamens einverstanden sind, oder ob sie sie als Volksetymologie, als Etymogelei, abtun. Wichtig ist die gute Nachricht, die in der Namenserklärung steckt.
Er wird, Er wird schon, ist in der Situation genau die richtige Botschaft für die Gefangenen, die Moses zum Ausbruch bewegen will. Der Gottesname besagt, es gibt eine Zukunft jenseits der mörderischen Arbeitsnorm in den pharaonischen Ziegeleien (Ex 5,17) und des Dornenverhaus, der ihnen den Weg nach draußen versperrt. Der jüdische Bibelwissenschaftler Benno Jacob hat es auf den Punkt gebracht: »J-h-w-h ist das Futurum der Geknechteten und Leidenden.«
Der Autor ist Professor an der Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg (HfJS).
Der Text basiert auf einem Vortrag, den er auf der Tagung der Bildungsabteilung »Das Gottesverständnis im Judentum, Annäherung an religiöse Kernfragen« (28. bis 30. Juni in Frank- furt am Main) halten wird.