Vor 16 Jahren präsentierte er sich als Jesus, blutverschmiert und mit Dornenkrone, auf dem Cover des »Rolling Stone«-Magazins. Sieben Jahre später sang er: »Ich bin ein Gott.« Zwischendrin war von ihm zu hören: »Ich bin zu sehr damit beschäftigt, Geschichte zu schreiben, als sie zu lesen.« Das bewies er nun zweifelsfrei.
Kanye West, der sich offiziell zu Ye umbenannte, hob den Rap aus der Gangster-Ära. Die Themen waren nicht mehr Drogen und Waffen, sondern Religion, Familie, geistige Entwicklung. Damit brach er reihenweise Rekorde und gilt nun als eine der einflussreichsten Personen im Hip-Hop. Dass er bei einer solchen Karriere offenbar keine Zeit fand, sich mit den dunkelsten Zeiten der Weltgeschichte zu befassen, das liegt nun auf der Hand. Denn der selbst ernannte Gott hat sich endgültig als Antisemit und Verschwörungsideologe entpuppt. Heute will kaum einer mehr Geschäfte mit ihm machen.
Adidas könnte bis zu 250 Millionen Euro Nettogewinn verlieren.
Wests Tendenz zu skandalösem Verhalten zeigte sich schon in den Anfängen seiner Karriere. Dann wurde es zunehmend schlimmer. 2009 sprang er noch bei den MTV Video Music Awards auf die Bühne und entriss der damals 19-jährigen Sängerin Taylor Swift während ihrer Dankesrede das Mikrofon, um der Welt zu sagen, dass die andere Nominierte, Popstar Beyoncé, »eines der besten Videos aller Zeiten« gemacht habe. Es war an Respektlosigkeit nicht zu überbieten. Doch letztlich wurde die Aktion belächelt und hingenommen. Kanye halt.
wachsfigur Heute, mehr als zehn Jahre später, ist West nicht mehr der Rapper mit zu viel Selbstbewusstsein. Heute ist er der gefallene Star, dessen Wachsfigur aus dem »Madame Tussauds London« entfernt wird. Keiner der großen Akteure will seine antisemitischen Verschwörungserzählungen weiter hinnehmen. Oder sie mit seiner bipolaren Störung entschuldigen.
Den Gipfel des Wahnsinns erreicht hatte West Mitte Oktober. Via Instagram postete er einen Beitrag, in dem er seinem Rap-Kollegen P. Diddy unterstellte, von Juden kontrolliert zu sein. Instagram hat den Beitrag daraufhin entfernt und sein Konto gesperrt. Seinen Judenhass setzte er danach auf Twitter fort. Dort schrieb der Rapper: »Ich bin heute Nacht ein bisschen müde, aber wenn ich aufwache, gehe ich bei jüdischen Menschen auf Alarmstufe Gelb.«
Hierbei bediente er sich eines geschmacklosen Wortspiels, denn die Alarmstufe, von der er da sprach, beschrieb er in seinem auf Englisch verfassten Tweet als »death con 3«. West spielte damit auf »DEFCON 3« an. So nennt das US-Militär seinen erhöhten Alarmzustand. Zu deuten ist dies als klare Gewaltandrohung gegenüber Juden.
Die Antisemitismusvorwürfe kamen auch diesmal prompt. Doch West meinte, er könne ja gar nicht antisemitisch sein, weil Schwarze auch Juden seien. In einem Tweet fragte er später noch: »Was glaubt ihr, wer diese Cancel Culture kreiert hat?« Auch Twitter sperrte daraufhin den Account des Rappers.
Aufschrei Der Aufschrei wurde noch größer, als sich herausstellte, dass der Musiker in einem Interview mit dem US-Sender »Fox News« antisemitische und verschwörungsideologische Kommentare abgab, diese aber herausgeschnitten wurden. In dem unveröffentlichten Material ist zu hören, dass er es vorziehen würde, wenn seine Kinder anstatt des afroamerikanischen Kwanzaa-Festes Chanukka kennenlernen würden, weil »es mit etwas Finanztechnik verbunden ist«.
An anderer Stelle betonte er wiederum, mehr auf die Arbeit mit »Latinos« zu vertrauen, als mit »gewissen anderen Geschäftsleuten«. West glaubt auch, dass die Organisation »Planned Parenthood«, aus der später der deutsche Ableger »Pro Familia« hervorging, in Verbindung mit dem Ku-Klux-Klan gegründet wurde, um »die jüdische Bevölkerung zu kontrollieren«. Auf der diesjährigen Pariser Fashion Week zeigte er sich zudem mit einem »White Lives Matter«-Shirt. Die Parole ist die rassistische Antwort auf die Black-Lives-Matter-Bewegung.
Ex-Frau Kim Kardashian solidarisiert sich mit der jüdischen Gemeinschaft.
Die Liste seiner Entgleisungen ist lang. Gegen sein Verhalten haben sich inzwischen auch zahlreiche Prominente ausgesprochen, allen voran seine Ex-Frau Kim Kardashian, die sich öffentlich mit der jüdischen Gemeinschaft solidarisierte.
Auch seine Geschäftspartner haben die Verschwörungserzählungen satt. Wests Talentagentur CAA, das Modelabel Balenciaga sowie der deutsche Sportartikelhersteller Adidas stellten ihre Kooperationen ein.
Dass ausgerechnet Adidas, ein deutsches Unternehmen mit Nazi-Vergangenheit, vergleichsweise lange brauchte, um dem Rapper zu kündigen, sorgte zunächst für starke Kritik.
zusammenarbeit Seit 2014 arbeitet der Sport-Riese mit West zusammen. Gemeinsam verkaufen sie die Sneaker-Linie »Yeezy«. Jüdische Organisationen weltweit sowie die Anti-Defamation League und auch Zentralratspräsident Josef Schuster forderten ein sofortiges Ende der Zusammenarbeit, doch der Konzern zögerte.
Als der Rapper in einem US-Podcast schließlich sagte: »Ich kann antisemitische Dinge sagen, und Adidas kann mich nicht fallen lassen«, blieb Adidas keine andere Wahl mehr. In einem Statement hieß es: »Adidas duldet keinen Antisemitismus und keine andere Art von Hassrede. Die jüngsten Äußerungen und Handlungen von Kanye West sind inakzeptabel, hasserfüllt und gefährlich. Sie verstoßen gegen die Werte des Unternehmens wie Vielfalt und Inklusion, gegenseitigen Respekt und Fairness.«
Auch wenn die Entscheidung aus Sicht vieler verspätet gefallen sein mag: Sie bleibt beachtlich, schließlich brachte die Zusammenarbeit beiden Seiten jahrelang Milliardengewinne. Damit ist nun Schluss. Die Produktion der Yeezys wird ab sofort eingestellt, wie auch die Zahlungen an West. Das hat auch Auswirkungen auf die Adidas-Aktie, die nach der Kanye-Kündigung um 7,9 Prozent sank. Bis zu 250 Millionen Euro könnten dem Unternehmen im kommenden Quartal an Nettogewinn fehlen. Sicherlich schmerzhaft in Zeiten einer drohenden Wirtschaftskrise.
Herzog Dass Kanye West mit seiner Hetze, mit seinem Judenhass, nicht mehr durchkommt, das freut auch Israels Staatspräsident Isaac Herzog. In einem CNN-Interview äußerte er sich kürzlich besorgt über den zunehmenden Antisemitismus in der Welt. »Das sind die Herausforderungen unserer Zeit, aber die Geschichte lehrt uns, dass es normalerweise mit dem Hass auf Juden beginnt, mit der Beschuldigung von Juden, mit schrecklicher Rhetorik, die Menschen sagen.« Deshalb sei er »sehr erfreut über diese überwältigende Reaktion auf die Kommentare von Kanye West«.
Welche gefährlichen Auswirkungen Wests Verhalten haben kann, das war kürzlich in Los Angeles zu sehen. Bilder zeigten Personen, die über einer Autobahn Plakate mit der Aufschrift befestigten: »Kanye hat recht mit den Juden.« Sie zeigten zudem den Hitlergruß.
Es ist ein Beispiel, welches dafür spräche, die Social-Media-Kanäle des Rappers auch zukünftig offline zu lassen. Doch am vergangenen Freitag wurde bei Twitter offenbar anders entschieden. Wests Account ist wieder öffentlich einsehbar. Und zwar nur einen Tag nach der offiziellen Konzernübernahme durch Tesla-Gründer Elon Musk. Hat der neue Twitter-Chef, der mit dem Rapper befreundet sein soll und selbst schon Verschwörungsmythen verbreitete, die Blockierung höchstpersönlich aufheben lassen? Musk bestreitet dies und erklärte: »Das Konto von Ye wurde von Twitter vor der Übernahme wiederhergestellt. Sie haben mich nicht konsultiert oder informiert.«
Hetze Ob Kanye West seine Hetze auf Twitter oder anderswo fortsetzen wird, bleibt abzuwarten. Ein neuer Bericht des Nachrichtensenders CNN legte nun aber nahe, dass Wests antisemitische Äußerungen nur die Spitze des Eisberges sein könnten. Wie vier verschiedene Quellen bestätigt haben sollen, sei der Rapper bereits vor Jahren von Adolf Hitler »besessen« gewesen. Er habe sogar sein 2018 erschienenes Album Ye ursprünglich »Hitler« nennen wollen, heißt es.
»Er lobte Hitler, indem er sagte, wie unglaublich es war, dass er so viel Macht anhäufen konnte, und sprach über all die großartigen Dinge, die er und die Nazi-Partei für das deutsche Volk erreicht hatten«, so ein ehemaliger Angestellter des Rappers, der seinen Namen wegen einer Vertraulichkeitsvereinbarung und aus Angst nicht öffentlich machen will.
Er soll bereits vor Jahren von Hitler »besessen« gewesen sein.
Große Unternehmen hingegen haben keine Angst davor, sich klar gegen den 45-Jährigen zu positionieren. Einmal mehr bewies dies zuletzt der US-amerikanische Sneaker-Hersteller Skechers. Nach dem Adidas-Aus wollte der Rapper offenbar in Skechers einen neuen Geschäftspartner finden.
Unangemeldet kreuzte er in dessen Firmenzentrale in Los Angeles auf und wollte anscheinend nicht wahrhaben, dass er nirgendwo mehr offene Türen einrennt. Das Unternehmen ließ ihn von Sicherheitsleuten herauseskortieren und erklärte schlicht: »Wir haben nicht die Absicht, mit West zusammenzuarbeiten.« In dem Punkt scheinen sich nun alle einig.