Sprachgeschichte(n)

Der Furchenzieher und die Bestrickende

Die beliebtesten Vornamen von 2020 Foto: picture alliance/dpa

Wie Petra Cimpová in ihrer Arbeit über Hebräische und jiddische Ausdrücke in der deutschen Sprache (Brno 2015) referierte, schätzt man, »dass der aktive Wortschatz im Deutschen über 1000 Redewendungen und Wörter enthält, die jiddisch-hebräischen Ursprungs sind«.

Auf eine Gruppe hat sie nicht hingewiesen – die Vornamen. Dabei hatte schon Kurt Tucholsky am 20. November 1913 (unter dem Pseudonym Theobald Tiger) in Die Schaubühne Nr. 47 geschrieben: »Der Name ist’s, der Menschen zieret, weil er das Erdenpack sortieret – bist du auch dämlich, schief und krumm: Du bist ein Individuum.«

MÄNNLICH Zunächst zu männlichen Vornamen: Der Vorname eines Menschen ist der Teil des Namens, der nicht die Zugehörigkeit zu einer Familie ausdrückt, sondern ihn oder sie individuell identifiziert. Eine erhebliche Anzahl der uns im deutschen Sprachraum begegnenden Vornamen ist hebräischer oder zuweilen aramäischer Herkunft.

Das fällt prima facie durch die biblischen Anklänge sehr deutlich auf bei zwei männlichen Beispielen: bei »Adam« (hebräisch »Mensch«; wörtlich: »der von der Erde – adama – Genommene«) und bei »David« (hebräisch Dawid(h): »der Geliebte/Liebling/(Gottes)«.

Wie auf der vom Hamburger Medienunternehmen Gruner + Jahr betriebenen Internetseite »Vorname.com« vermerkt ist, gehörte Letzterer besonders im Jahr 2004 zu den beliebtesten männlichen Vornamen in Deutschland. Vor wenigen Wochen wies die Deutsche Presse-Agentur (dpa) in einer auch in dieser Zeitung am 10. Mai online zitierten Meldung der Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) darauf hin, »Noah« sei seit 2019 »der beliebteste Jungenname«. Vorname.com ergänzte mit der Etymologie: Der Name wird vom hebräischen »noach« (= ausruhen, beruhigen) abgeleitet und bedeutet in etwa »Beruhige dich!« beziehungsweise »der Trostbringer«.

BIBLISCH Doch selbst wenn biblische Bezüge hergestellt werden, sind sich heute oft nur die wenigsten Sprachbenutzer, vielfach nicht einmal die heutigen Namensträger selbst, der Ursprungsbedeutungen bewusst. Das gilt zum Beispiel für die nachfolgenden Bildungen: »Bartholomäus« und seine Variante »Barthel« (aramäisch »Sohn des Tolmai«, des Furchenziehers); »Benjamin« (der jüngste Sohn Jakobs und somit auch der Name eines der zwölf Stämme Israels, hebräisch »Sohn meiner rechten Hand«/»Glückskind«/»Sohn des Glücks«/»Sohn des Trostes«); »Gabriel« (hebräisch »Gott ist mein Held«/»Mann Gottes«); »Johannes« (hebräisch Jocha­nan: »der Ewige/JHWH ist gnädig«/»der Ewige hat Gnade erwiesen«); »Emanuel« (hebräisch Immanu’el: »Gott ist mit uns«); »Joachim« (hebräisch Jojachin: »der Ewige/JHWH hat befestigt«); »Jonas« (hebräisch Jona = »die Taube«; »der Friedliebende«); »Michael« (hebräisch »Wer ist wie Gott?« im Sinne von »Keiner ist wie Gott«) und »Thomas« (aramäisch »te’oma«: »Zwilling«).

»Daniel« (hebräisch »Gott ist/sei mein Richter«) war in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Deutschland kaum verbreitet, seine Popularität wuchs damals jedoch ab den 50er-Jahren; von der Mitte der 70er-Jahre bis zur Mitte der damaligen 90er-Jahre zählte er mit einigen Unterbrechungen zu den zehn meistvergebenen Jungenvornamen des jeweiligen Jahres, doch seitdem hat seine Beliebtheit deutlich nachgelassen.

WEIBLICH Den männlichen steht eine Reihe weiblicher Vornamen vergleichbarer Herkunft zur Seite, zum Beispiel »Judit(h)« (hebräisch Jehudit = »Judäerin/Frau aus Judäa«/»Jüdin«) und »Debora« (hebräisch Dvora: »die Hummel«, »die Biene«), wozu »Vorname.com« ergänzt: »In der Bibel ist Debora Richterin und Prophetin im alten Israel.«

Recht beliebt sind auch »Rahel/Rachel«: hebräisch in der Bedeutung »Mutterschaf«, die zweite Frau Jakobs und Mutter von Josef und Benjamin) sowie »Tabea« (hergeleitet aus dem aramäischen »Tabitha«, »die Gazelle« – gemäß »Vorname.com« ist sie »eine Christin, die durch Petrus vom Tode erweckt wird«).

Nicht mehr so häufig wie früher hören wir heute »Martha« (hebräisch »die Herrin«/»die Gebieterin«); »Rebekka« (hebräisch Rivka: »die Bestrickende/die Fesselnde/die Wohlgenährte«); »Salome« (eine Parallelbildung zu »Salomo«, hebräisch Schlomo: »der Friedliche«); »Susanne« (hebräisch Schoschana: »die Lilie«) und »Elisabeth« (hebräisch Elischeva = »Schwur Gottes« oder »Mein Gott ist Sieben«, was für die Vollkommenheit steht).

TV-Legende

Rosenthal-Spielfilm: Vom versteckten Juden zum Publikumsliebling

»Zwei Leben in Deutschland«, so der Titel seiner Autobiografie, hat Hans Rosenthal gelebt: Als von den Nazis verfolgter Jude und später als erfolgreicher Showmaster. Ein Spielfilm spürt diesem Zwiespalt nun gekonnt nach

von Katharina Zeckau  28.03.2025

Patrick Modiano

Tanz durch die Erinnerung

Patrick Modianos Hommage an eine namenlose Tänzerin widmet sich den kleinen Dramen des Alltags, die es zu meistern gilt

von Ellen Presser  28.03.2025

Taffy Brodesser-Akner

Vom Dibbuk im Getriebe

Gleich drei Generationen sind in dem neuen Roman der amerikanischen Journalistin und Autorin ziemlich dysfunktional

von Sharon Adler  28.03.2025

Roberto Saviano

Intrigen und Verrat

Der italienisch-jüdische Autor schreibt sprachgewaltig in zwölf Erzählungen über die Frauen in der Mafia

von Knut Elstermann  28.03.2025

Thomas Mann

König der Emigranten

Martin Mittelmeier beleuchtet Leben und politisches Wirken des Nobelpreisträgers im kalifornischen Exil

von Tobias Kühn  28.03.2025

Assaf Gavron

Weltregierung und Einsamkeit

Erfrischend, erstaunlich, spannend: Zwei neue Erzählungen des israelischen Autors

von Maria Ossowski  28.03.2025

Geschichte

Mehr als die Bielski-Brüder

Der NS-Historiker Stephan Lehnstaedt hat ein erhellendes Buch über den jüdischen Widerstand veröffentlicht

von Alexander Kluy  28.03.2025

Friedl Benedikt

Die Schülerin

Im Nachlass von Elias Canetti wurde die vergessene literarische Stimme einer beeindruckenden Autorin gefunden

von Sophie Albers Ben Chamo  28.03.2025

Lille

Oliver Masucci lernte für Serie Hebräisch

Der amerikanisch-israelische Mehrteiler »The German« hat auf Europas größtem Festival für TV-Serien viel Anerkennung gefunden. Doch der Schatten des Krieges in Gaza und Israel erreichte auch dieses Historien-Drama

von Wilfried Urbe  28.03.2025