In der Nacht zum 24. April 2005 boxte Arthur Abraham in der Dortmunder Westfalenhalle gegen den Argentinier Hector Javier Velazco. Er widmete seinen Sieg dem armenischen Volk. Nicht nur, weil der Sportler in der armenischen Hauptstadt Eriwan am 20. Februar 1980 geboren wurde, sondern auch, weil in dem kleinen kaukasischen Land immer am 24. April den Opfern des Massenmords von 1915 bis 1918 gedacht wird. Über diesen »ersten Genozid in der Geschichte des 20. Jahrhunderts« bei dem schätzungsweise bis zu 1,5 Millionen christliche Armenier im Osmanischen Reich getötet wurden, hat der Regisseur Eric Friedler (»Das Schweigen der Quandts«) den Dokumentarfilm »Aghet – ein Völkermord« gedreht. »Aghet« ist das armenische Wort für Katastrophe, und Friedler begibt auf die Suche nach den Ursachen dieses Verbrechens. Er beschreibt zudem, wie dieser Teil der jüngeren türkischen Geschichte weiterhin verdrängt wird und was passiert, wenn man das Schweigen durchbricht.
Ignoranz Das hat zum Beispiel der Journalist Hrant Dink getan. Er wurde Anfang 2007 von einem 17-jährigen Türken auf offener Straße in Istanbul erschossen, weil er den Völkermord an den Armeniern anprangert hatte. In der Türkei ist das Thema ein Tabu. Man sei für das Massaker in keinster Weise verantwortlich, heißt es immer wieder. In »Aghet« kommt zum Beispiel der amtierende türkische Vize-Ministerpräsident zu Wort. Auch er bestreitet, dass es einen Genozid gab.
Friedlers 90-Minuten-Film reiht nicht einfach nur Fakten aneinander. Viele bekannte deutsche Schauspieler, zum Beispiel Friedrich von Thun, Martina Gedeck, Katharina Schüttler und Burghart Klaussner, schlüpfen in die Rolle von Zeitzeugen. Sie erzählen, wie die Armenier unter dem Vorwurf des Landesverrats deportiert wurden und das Ausland auf das Vorgehen der Türkei (nicht) reagierte. Auch die Überlebenden erhalten durch die Darsteller eine Stimme. Das gibt der ohnehin eindringlichen Dokumentation noch eine besondere Form der Authenzität.
Brutalität Wenn die Schauspieler mit tränenfeuchten Augen erzählen von hungernden Kindern, verstümmelten Leichen und der unvorstellbaren Brutalität, mit der die türkischen Aufseher Armenier auf Todesmärsche quer durchs Land bis in die syrische Steppe schickten, gibt es für den Zuschauer kein Entkommen, bleibt keine Zeit, Atem zu holen. »Aghet« treibt den Zuschauer durch eines der dunkelsten Kapitel europäischer Geschichte. Auch Deutschland spielte dabei eine unrühmliche Rolle: Im Ersten Weltkrieg war es das Kaiserreich ein Verbündeter der Osmanen und gewährte einem der Initiatoren des Genozids, Innenminister Talât Pascha, später sogar Asyl. Dass heute noch türkische Straßen nach Pascha benannt sind, gehört zu den vielen schockierenden Details dieses sehenswerten Films. Wie »Aghet« allerdings ein breites Publikum ansprechen soll, bleibt das Geheimnis der ARD. Sie zeigt die Geschichte des Völkermords an den Armeniern zu nachtschlafender Zeit.
»Aghet - ein Völkermord« läuft am 9. April um 23.30 Uhr in der ARD und am 13. April um 20.15 Uhr auf Phoenix.