»Messiah«

Der Erlöser spricht Iwrit

Was wäre, wenn der Messias (in der Serie dargestellt von dem Belgier Mehdi Dehbi) wirklich kommt? Foto: Hiba Judeh/Netflix

Es fängt an mit einem Kind, das sich in der Nacht ängstigt, weil Leben und Sterben doch keinen Sinn machen. Die Mutter beruhigt es mit sanften Tönen, sagt ihm, dass Gott seinen Plan habe für jeden einzelnen Menschen auf der Welt. Jahre später ist die Mutter tot, ermordet bei einem IS-Angriff 2019 auf Damaskus, nachdem die USA ihre Truppen abgezogen haben. Eine amerikanische Reporterin sagt, nur ein Akt Gottes könne noch verhindern, dass die syrische Hauptstadt an das Terrorkalifat falle.

Kurz darauf hört der Junge, mittlerweile ein fragiler, junger Mann, einen Prediger in einem gelben Kaftan über der Jeans am Bab-Tuma, dem Stadttor des St. Thomas, rufen, dass Gott diejenigen, die ihn hören, beschützen werde. Ein Sandsturm zieht auf und hüllt die Stadt für 43 Tage ein, an deren Ende der »Islamische Staat« geschlagen ist. Der Mann im gelben Hemd wird nun Al-Masih genannt, Messias, und er macht sich mit rund 2000 Anhängern auf den Weg zur Grenze nach Israel.

Der Mann im gelben Hemd wird in Syrien »Al-Masih« genannt.

Na, angefixt? Eine CIA-Agentin in Washington ist es auch schon, die Al-Masih via Satellit und Informanten beobachtet und den jungen Mann, der aussieht wie Aragorns kleiner Bruder, für einen Terroristen hält. Ein knallharter Schin-Bet-Agent kommt dazu, der den vermeintlichen Erlöser verhört und es mit der Angst zu tun bekommt, als dieser Persönliches von ihm weiß – und plötzlich Hebräisch spricht.

israel Etwas, das schon in der ersten Episode der Netflix-Serie Messiah positiv überrascht, mal abgesehen von der Prämisse »Was passiert, wenn der Messias kommt?«, die auch den härtesten Atheisten hinter dem neuesten Richard-Dawkins-Buch hervorlocken dürfte, ist die ganz selbstverständliche Vielsprachigkeit: In Syrien wird Arabisch gesprochen, in Israel Hebräisch, in den USA Englisch. Dort geht es als Nächstes nach Texas, wo ein Tornado ein komplettes Dorf in Schutt und Asche legt, alles außer der kleinen Holzkirche. Und es ist angeblich Al-Masih, der die renitente Teenager-Tochter des Baptistenpredigers rettet, der ebendiese Kirche eigentlich gerade in Brand stecken wollte, um die Versicherungssumme zu kassieren.

Damit ist die Messiah-Truppe komplett, und mit ihr steht eine Reihe bedeutungsgeladener Namen: CIA-Agentin Eva, der syrische Junge Gabriel (Jibril), der israelische Agent Avraham (Aviram), die Predigertochter Rebecca, die Reporterin Miriam. Später kommt noch Payam (Persisch für die gute Nachricht) hinzu.

Messiah legt Wert auf solche Details, wenn auch Mainstream-tauglich, also immer mit eingerechneter Fallhöhe. Präsentiert wird das Ganze in der bewährten »dreckig, aber sexy«-Optik der israelischen Erfolgsserie Fauda, was an sich schon für Spannung sorgt. Man mische das mit ein bisschen Popkultur und postkapitalistischer Gesellschaftskritik, und heraus kommt ziemlich gute Streaming-Unterhaltung.

Den Netflix-Zehnteiler erdacht und co-produziert hat der Australier Michael Petroni (Drehbuchautor von Die Bücherdiebin und The Rite – Das Ritual), der seinen ambiguen Helden vollmundig formulieren lässt, dass man »alles aufgeben« solle, was man (und Frau) bisher »über Gott zu wissen« meine. Was natürlich Unsinn ist, denn genau damit spielt Messiah ja: eben alles, was die Menschen über den Maschiach zu wissen glauben, der alle Juden nach Israel bringen und den Tempel wiederaufbauen wird, über den Messias, dessen Wiederkehr das Weltende und Weltgericht bedeutet, und über Isa, Al-Masih, der den falschen Propheten töten und allen Völkern Frieden bringen soll. Und das, gespiegelt in den mal mehr, mal weniger gepeinigten Charakteren, ergibt ein hoch spannendes Geben und Nehmen von Erwartungen, Ideologien und Egoismen. Schließlich braucht jeder den Retter der Welt für etwas anderes.

islamist CIA-Agentin Eva Geller (gespielt von Michelle Monaghan) jagt einen islamistischen Unruhestifter. Der texanische Prediger (John Ortiz) folgt Jesus, der dafür sorgen soll, dass die Geldsorgen und alle anderen gleich mit verschwinden. Jibril (Sayyid El Alami) hofft, dass »der Großartige« ihm ein menschenwürdiges Leben ermöglicht. Schin-Bet-Haudegen Avi (der französische Comedian Tomer Sisley) will den gefährlichen Scharlatan aus dem Weg räumen. Und währenddessen streiten religiöse Anführer, ob die Farbe seines Hemdes stimmt, hoffen christliche Hippies auf den ultimativen Trip, wollen Fernsehprediger noch mehr Geld verdienen und will der US-Präsident ein gutes Schäfchen sein.

Schin-Bet-Haudegen Avi will den »Messias« aus dem Weg räumen.

Messiah ist ein Wimmelbild der Möglichkeiten, in das sich der Zuschauer bereitwillig einfügt, wenn das Ende einer Folge schon wieder ein unerwarteter Cliffhanger ist.

In Zeiten, in denen Meinungen schwerer wiegen als Fakten, wenn Institutionen angegriffen werden, weil die Freude am Untergang so groß ist, wenn Moral und Selbstverantwortung in die Tonne getreten werden für den eigenen Vorteil, dann ist die Frage, wie die Welt auf die Ankunft dieser obersten religiösen Instanz auf Erden tatsächlich reagieren würde, faszinierend. Mit Zynismus scheint offensichtlich jeder zu rechnen. Zum Glück allerdings auch mit Hoffnung.

»Messiah« läuft beim Streamingdienst Netflix.

Geheimnisse & Geständnisse

Plotkes

Klatsch und Tratsch aus der jüdischen Welt

von Imanuel Marcus, Katrin Richter  14.03.2025 Aktualisiert

Ausstellung

Chagalls fantastische Welten in Düsseldorf

Seine bunt-surreale Bildwelt fasziniert Menschen seit Jahrzehnten. Auch die dunkle Seite des jüdischen Malers rückt in den Fokus

 14.03.2025

K20 Kunstsammlung

Ungewöhnliche Werke von Marc Chagall in Düsseldorf zu sehen

Die Ausstellung mit 120 Werken beleuchtet Chagalls Auseinandersetzung mit Antisemitismus, Armut und Geschlechterrollen

von Nikolas Ender  13.03.2025

Liraz

Das Trillern der Utopie

Die israelische Sängerin ist stolz auf ihre persischen Wurzeln. In Europa kämpft sie mit Konzertabsagen

von Tilman Salomon  13.03.2025

Kino

Der Wandel des »Ka-Tzetnik«

Eine Doku widmet sich dem Schoa-Überlebenden Yehiel De-Nur und seiner Auseinandersetzung mit dem »Planeten Auschwitz«

von Dietmar Kanthak  13.03.2025

Kino

Bonhoeffers Vermächtnis »verfälscht und missbraucht«

In seinem umstrittenen Film stilisiert der amerikanische Regisseur Todd Komarnicki den Theologen und Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer zu einer Erlöserfigur im Kampf gegen den nationalsozialistischen Terror

von Raimund Gerz  13.03.2025

Rechtsextremismus

Braune Musik verbreitet Hass: Rechtsrock in Deutschland

Rechtsextreme Musik trifft bei etlichen auf offene Ohren. Beobachter warnen: Die Rechtsrock-Szene blüht. Und sie kann ein »Türöffner« sein für rechtsextremistische Ideologien

von Alexander Lang  13.03.2025

Aufgegabelt

Hamantaschen mit Mohn

Rezepte und Leckeres

 13.03.2025

Pädagogik

Sicherheit vermitteln

Welche Herausforderungen der 7. Oktober mit sich bringt: Religionslehrer suchen Antworten auf schwierige Fragen beim jährlichen Treffen an der Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg

von Ayala Goldmann  14.03.2025 Aktualisiert