Nachruf

Der Engagierte

Jorge Semprún war trotz seiner Leiden im Konzentrationslager Buchenwald zeitlebens ein Optimist. »Ich könnte stundenlang davon berichten, zu welchen Grausamkeiten der Mensch fähig ist«, sagte der am Dienstag im Alter von 87 Jahren in Paris gestorbene spanische Autor einmal. »Aber was soll’s? Ich habe auch erlebt, wie ein Mann einem Mitgefangenen ein Stück Brot abgab, weil dieser schwächer war. Ich erzähle lieber von solchen Begebenheiten.« ??Semprún, von 1988 bis 1991 Kulturminister seines Landes, hatte dem Kommunismus vor Jahrzehnten abgeschworen, seinen rebellischen Charakter aber nicht abgelegt. »Wenn ich noch einmal 20 Jahre alt wäre, dächte ich nicht mehr an die kommunistische Revolution«, sagte er der Zeitung El Periódico. »Ich richtete im Internet einen Blog ein und verbreitete aufrührerische Ideen.« ??Der Schriftsteller, 1994 mit dem Friedenspreis des deutschen Buchhandels ausgezeichnet, war ein Pendler zwischen Literatur und Politik. Er stammte aus einer angesehenen Madrider Familie, ein Großvater war spanischer Ministerpräsident, ein Onkel Innenminister. 1939 flüchtete Semprún vor dem Franco-Regime nach Frankreich. Dort schloss er sich der Résistance gegen die Nazis an. 1943 wurde er von der Gestapo verhaftet und ins KZ Buchenwald verschleppt.?? Die Deportation in einem Viehwaggon und die Gefangenschaft arbeitete er in den Romanen »Die große Reise« (1963) und »Was für ein schöner Sonntag« (1980) literarisch auf. »Ich bin weder Schriftsteller noch Politiker. Ich bin nur ein Überlebender von Buchenwald«, sagte Semprún einmal.?

Politisch engagierte er sich zunächst für die Kommunistische Partei Spaniens (PCE). Er organisierte unter dem Decknamen Federico Sánchez den Untergrundkampf gegen die Franco-Diktatur und stieg ins Zentralkomitee der Partei auf. 1964 wurde Semprún wegen Abweichens von der Parteilinie aus der PCE ausgeschlossen. Im Roman »Der zweite Tod des Ramón Mercader« rechnete er später mit dem Kommunismus ab. ??1988 nahm Spaniens sozialistischer Regierungschef Felipe González den Autor als Kulturminister ins Kabinett auf. Der Literat sollte »frischen Wind« in die Regierung bringen. Aber schon bald geriet er mit dem Parteiapparat aneinander und verlor 1991 sein Ministeramt.

Semprún pendelte nicht nur zwischen Literatur und Politik, sondern auch zwischen den Ländern Spanien, Frankreich und Deutschland. Deutsch hatte er als Junge von seinen Kindermädchen gelernt. Seine Romane schrieb er überwiegend auf Französisch, da er wegen der Franco-Diktatur (1939–1975) seine Werke lange Zeit nicht in Spanien veröffentlichen durfte. Den ersten Roman in seiner Muttersprache verfasste er erst, als er fast 80 Jahre alt war. Das Werk trägt den Titel »20 Jahre und ein Tag« und handelt von Semprúns Zeit im Untergrund. ?

Programm

Termine und TV-Tipps

Termine und Tipps für den Zeitraum vom 20. Februar bis zum 27. Februar

 21.02.2025

Berlinale

»Das verdient kein öffentliches Geld«

Der Berliner CDU-Fraktionschef Dirk Stettner hat seine Karte für die Abschlussgala zerrissen – und will die Förderung für das Filmfestival streichen

von Ayala Goldmann  21.02.2025

Bayern

NS-Raubkunst: Zentralrat fordert schnelle Aufklärung

Der Zentralrat der Juden verlangt von den Verantwortlichen im Freistaat, die in der »Süddeutschen Zeitung« erhobenen Vorwürfe schnell zu klären

 20.02.2025

Kolumne

Unentschlossen vor der Wahl? Sie sind in guter Gesellschaft – mit Maimonides

Der jüdische Weise befasste sich mit der Frage: Sollten wir als Kopfmenschen mit all unserem Wissen auch bei Lebensentscheidendem dem Instinkt vertrauen?

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Berlin

Eine krasse Show hinlegen

Noah Levi trat beim deutschen Vorentscheid für den Eurovision Song Contest an. In die nächste Runde kam er nicht, seinen Weg geht er trotzdem

von Helmut Kuhn  20.02.2025

NS-Unrecht

Jüdische Erben: »Bayern hat uns betrogen« - Claims Conference spricht von »Vertrauensbruch«

Laut »Süddeutscher Zeitung« ist der Freistaat im Besitz von 200 eindeutig als NS-Raubkunst identifizierten Kunstwerken, hat dies der Öffentlichkeit aber jahrelang verheimlicht

von Michael Thaidigsmann  20.02.2025

Literatur

»Die Mazze-Packung kreiste wie ein Joint«

Jakob Heins neuer Roman handelt von einer berauschenden Idee in der DDR. Ein Gespräch über Cannabis, schreibende Ärzte und jüdischen Schinken

von Katrin Richter  20.02.2025

Berlinale

Auseinandergerissen

Sternstunde des Kinos: Eine Doku widmet sich David Cunio, der am 7. Oktober 2023 nach Gaza entführt wurde, und seinem Zwillingsbruder Eitan, der in Israel auf ihn wartet

von Ayala Goldmann, Katrin Richter  19.02.2025

Berlin

»Sind enttäuscht« - Berlinale äußert sich zu Antisemitismus-Skandal

»Beiträge, die das Existenzrecht Israels infrage stellen, überschreiten in Deutschland und auf der Berlinale eine rote Linie«, heißt es in einer Erklärung des Festivals

von Imanuel Marcus  19.02.2025