Kunstmarkt

Der doppelte Katz

»Ich hab’ einen tollen Patienten«, erzählt der Psychiater einem Freund: »Schizophren! Und beide zahlen.« An diesen recht angejahrten Witz muss man denken, wenn man den neuesten Versteigerungskatalog des Londoner Auktionshauses Bonhams mit »Israeli Art and Judaica« zur Hand nimmt. Denn dort ist eine eigenartige Künstlervermehrung zu beobachten. Es werden nicht nur fünf Gemälde von »Emmanuel Mané-Katz (Ukrainian/French, 1894–1962)« angeboten, sondern auch noch zwei Bilder von einem »Mane Katz (Ukrainian, 1894–1962)«.

wirrwarr Das ist nicht das einzige Indiz dafür, dass die Bearbeiter des Katalogs mehr ihrer Inspiration als pedantisch irgendwelchen Fakten vertrauen, wenn es um die Biografien der Künstler geht. Yosl Bergner gilt als »Israeli, born 1920«, ohne Hinweis darauf, dass er in Wien geboren wurde, in Warschau aufwuchs, dann in Australien lebte, ehe er nach Israel kam.

Nicht anders ist es bei Reuven Rubin, Avigdor Arikha oder Samuel Bak, die, glaubt man dem Katalog, keine Vorgeschichte hatten, bevor sie in Israel heimisch wurden. Sie alle gelten als »Israeli«, schließlich wurden sie irgendwann in ihrem Leben Bürger des jüdischen Staates.

Arthur Szyk wiederum, der scharfe Karikaturist wider die Nazis und den kriegslüsternen Tenno, der als amerikanischer Staatsbürger starb, bleibt für Bonhams Pole. Bei Arthur Segal, der als Rumäne vorgestellt wird, weil er 1875 in Jassy geboren wurde, erfährt man, dass er in Berlin 1892 studierte, sich der Neuen Sezession anschloss und 1944 in London, wo er seit 1936 wohnte, starb. (Dass das bei einem deutschen Luftangriff geschah, liest man jedoch nicht.)

Staatsbürgerschaft Moise Kiesling, 1891 in Krakau geboren, war ursprünglich Habsburger Untertan. Weil er später die französische Staatsbürgerschaft annahm, ist er für Bonhams Franzose. Jankel Adler, vier Jahre später im russisch beherrschten Teil Polens geboren, bleibt dagegen Pole, ungeachtet dessen, dass er lange in Deutschland, dann in Frankreich und zuletzt in Großbritannien lebte.

Den Vogel schießt der Katalog bei Ephraim Moshe Lilien ab, dem zionistischen Grafiker des Jugendstils. Aus ihm macht Bonhams einen Israeli. Nun war Lilien zwar mehrfach in Palästina und gründete dort mit Boris Schatz 1906 die Bezalel School of Arts and Crafts, die heutige Bezalel Academy. Aber geboren wurde er im damals zu Österreich-Ungarn gehörenden Galizien. Studiert hat er in Krakau und danach in München und Berlin gelebt. Und als er 1925 starb, war Israel noch eine Vision.

Offenbar wird bei Bonhams die Kunstgeschichte neu geschrieben. Bleibt zu hoffen, dass wenigstens die Bildexpertisen etwas zuverlässiger sind als die biografischen Notizen im Katalog.

Interview

»Wir stehen hinter jedem Film, aber nicht hinter jeder Aussage«

Das jüdische Filmfestival »Yesh!« in Zürich begeht diese Woche seine 10. Ausgabe, aber den Organisatoren ist kaum zum Feiern zumute. Ein Gespräch mit Festivaldirektor Michel Rappaport über den 7. Oktober und Filme, die man zeigen soll

von Nicole Dreyfus  06.11.2024

Glosse

Der Rest der Welt

Sukka-Fishing oder Sechs Stunden täglich auf dem Hometrainer

von Margalit Edelstein  06.11.2024

Meinung

Wir erleben eine Zäsur

Eine Resolution zum Schutz jüdischen Lebens ist in Deutschland nicht mehr selbstverständlich. Was bedeutet das für unsere Zukunft?

von Ayala Goldmann  05.11.2024

Film

Debatte gegen den Tod

Jurijs Saule inszeniert in »Martin liest den Koran« provokant eine thrillerhafte Diskussion über religiösen Extremismus und die Auslegung von Glaubensgeboten

von Jens Balkenborg  05.11.2024

Nachruf

»Also sprach Zarabauer«

Yehuda Bauer war nicht nur Historiker, sondern auch ein begnadeter Redner mit viel Humor

von Laurence Weinbaum  04.11.2024

Dokumentation

»Ein Bürger, ein Demokrat, ein Humanist, der für uns aufbegehrt«

Friedman erhält die Goethe-Plakette. Lesen Sie die Laudatio von Carolin Emcke

von Carolin Emcke  04.11.2024

Nachruf

Abschied von einem genialen Musiker und Produzenten

Quincy Jones produzierte Michael Jackson. Auch er selbst lieferte Unmengen an Musik

von Imanuel Marcus  04.11.2024

Hito Steyerl

Künstlerin mit Kompass

In ihrer Ausstellung »Normalität« setzt sich die Filmemacherin mit antisemitischer Gewalt auseinander

von Eugen El  04.11.2024

Literatur

Volker Kutscher veröffentlicht seinen letzten Rath-Roman

Dieser Band endet mit den November-Pogromen im Jahr 1938

von Christiane Laudage  04.11.2024