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Der Dichter und sein Land

Seit Jahren gilt er als Anwärter auf den Literaturnobelpreis: Amos Oz Foto: dpa

Sie bewundern ihn und lesen eifrig seine Bücher – gleichzeitig kritisieren sie ihn oft scharf und haben an seinen Werken fast immer etwas auszusetzen. Zweifellos: Das Verhältnis der Israelis zu ihrem weltweit bekanntesten Literaten Amos Oz ist zwiespältig, manche behaupten sogar schizophren. Einige seiner Landsleute verübeln ihm seinen, wie sie finden, überheblichen, oft pathosreichen Ton, andere betrachten skeptisch oder gar neidisch seinen Erfolg im Ausland.

In der Tat genießt der vor 75 Jahren, am 4. Mai 1939, im Jerusalemer Stadtviertel Kerem Avraham geborene Oz (ursprünglich: Klausner) auf der internationalen Bühne uneingeschränkte Hochachtung. Seine Prosawerke – Romane, Erzählungen, Kinder- und Jugendbücher sowie Essays – wurden mittlerweile in mehr als 35 Sprachen übersetzt.

Seit Jahren wird er als Anwärter auf den Literaturnobelpreis gehandelt, mit dem bislang nur ein einziger hebräischer Autor vor fast 50 Jahren geehrt wurde, nämlich Schmuel Yosef Agnon.

kibbuz Was zeichnet Amos Oz aus? Zum einen ist er der profilierteste Vertreter der sogenannten »Generation des Staates« (Dor ha-Medina): Im Gegensatz zu israelischen Schriftstellern wie Yoram Kaniuk, für die der Unabhängigkeitskrieg die zentrale Erfahrung war, erlebte Oz den Krieg von 1948 – und damit den Kampf um einen souveränen jüdischen Staat – als Jugendlicher. Nicht das Erlebnis des Krieges, wie etwa bei S. Yizhar, sondern die Frage, ob und wie sich der Alltag eines altneuen Volkes auf der Suche nach »Normalität« gestalten lässt, steht im Vordergrund seiner ersten Werke.

Dabei sind Zweifel, Hadern, Verunsicherung, gar Angst von Anfang an unüberhörbar. »Unsere Ländereien betrügen uns«, schrieb in den 60er-Jahren der damalige Kibbuznik in seinem eindrucksvollen Prosadebüt, dem Erzählband Arzot Hatan (»Dort, wo die Schakale heulen«), der erstaunlicherweise bis heute nicht vollständig in deutscher Übersetzung vorliegt. Bereits in diesen ersten Erzählungen machte Oz, dessen frei gewählter Nachname auf Hebräisch so viel wie »Stärke, Kraft« bedeutet, deutlich, dass die erhoffte Geborgenheit und Sicherheit sich auch im eigenen Staat nicht einstellen würden.

Kaum eine Institution verkörperte das Idealbild einer neuen, gesunden hebräischen Gesellschaft so sehr wie der Kibbuz. Oz, der sich nach dem Freitod seiner Mutter 1954 dem Kibbuz Chulda anschloss, schilderte etwa in den Romanen Ein anderer Ort (deutsch 1976) und Der perfekte Frieden (deutsch 1987) das Leben im Kibbuz aus der Binnenperspektive, ohne Beschönigung.

Er beschrieb, mal mit Ironie, mal mit Wehmut, die Konflikte zwischen den unterschiedlichen Generationen ebenso wie geheimnisvolle Liebschaften in der Großfamilie des Kibbuz. Inzwischen freilich lebt Oz seit fast 30 Jahren in der südisraelischen Wüstenstadt Arad; auch das zionistische Vorzeigeprojekt der ländlichen, sozialistisch gesinnten Kollektivsiedlung gehört mittlerweile der Vergangenheit an. Doch zweifellos bleibt Oz, der diese Gemeinschaft als Mikrokosmos der israelischen Gesellschaft schilderte, der wichtigste Vertreter der »Kibbuzliteratur«.

politik Zum anderen spiegelt sich in der langen literarischen Karriere des Sabra Amos Oz auch das Ringen um eine neue hebräische (Erzähl-)Sprache sowie um einen neuen Prosastil, der authentisch und zeitgemäß, zugleich jedoch auch reich an intertextuellen Bezügen und psychologischen Nuancen sein sollte.

Im Vergleich mit frühen Werken, die reich, manchmal gar überreich an Symbolen oder allegorischen Anspielungen waren, bestechen Oz’ jüngere Erzählungen wie Geschichten aus Tel Ilan (dt. 2009) oder Unter Freunden (dt. 2013) durch einen schlanken und unprätentiösen Erzählstil. Auch der Verzicht auf experimentelle Ausdruckstechniken der Postmoderne, die Oz zunächst in dem poetischen Prosakaleidoskop Allein das Meer (dt. 2002) erprobte, hat sich nicht als Nachteil erwiesen.

Mit seiner weltweit erfolgreichen Autobiografie Eine Geschichte von Liebe und Finsternis (dt. 2004) gelang Amos Oz, was kein hebräischer Autor vor ihm vermocht hatte, nämlich seine eigene private Lebensgeschichte mit der kollektiven Chronik des Staates zu verflechten. Nicht zuletzt setzte sich Oz hier zum ersten Mal auch mit dem tragischen Schicksal seiner Mutter Fania auseinander. Vor diesem Hintergrund erschienen nun auch manche Geschichten und Figuren aus Oz’ Werk wie die Irrungen und Wirrungen der psychisch labilen Ehefrau und Mutter Channa Gonen in Mein Michael (dt. 1979) in einem neuen Licht.

Und noch etwas zeichnet Amos Oz aus – sein unermüdliches politisches Engagement. Nur die wenigsten wissen, dass er bereits Anfang der 60er-Jahre, damals noch als Student an der Hebräischen Universität Jerusalem und vor der Veröffentlichung seiner ersten Kurzgeschichten, die moralischen Spätwirkungen der sogenannten »Lavon-Affäre« anprangerte. Nach dem Sechstagekrieg war Oz 1967 einer der Initiatoren des Sammelbands Siach Lochamin (»Das Gespräch der Kämpfenden«), der sich besonnen und mahnend gegen den Siegestaumel, der damals das Land erfasste, aussprach.

Etwas später zählte Oz zu den Mitbegründern der überparteilichen Friedensbewegung »Shalom Achshav«, plädierte für einen Dialog mit der PLO und begrüßte die Oslo-Abkommen, die jedoch nicht vollständig umgesetzt wurden. Amoz Oz war und ist ein bekennender Zionist und leidenschaftlicher Liebhaber seiner Heimat, der jedoch für den Frieden mit den arabischen Nachbarn zu weit reichenden Kompromissen bereit ist.

preise Doch nicht nur als Autor und Aktivist, sondern auch als eloquenter Redner ist Oz nicht zuletzt in Deutschland bekannt, als ein Meister des gesprochenen Wortes, der sein Publikum in den Bann schlägt, egal ob er über Nahostpolitik, über die besonderen und sonderbaren Beziehungen zwischen Deutschen und Juden beziehungsweise Israelis (siehe den Band Israel und Deutschland, dt. 2005), oder über Literatur spricht.

Das Ansehen, das Oz genießt, spiegelt sich nicht zuletzt in der langen Liste von Auszeichnungen – einige der wichtigsten Preise und Ehrungen wurden ihm übrigens in der Bundesrepublik verliehen, darunter der prestigeträchtige Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 1992, der Goethe-Preis der Stadt Frankfurt 2005 oder der Heinrich-Heine-Preis der Stadt Düsseldorf 2008.

Sein jüngstes Werk, das Sachbuch Juden und Worte (dt. 2013), im Original auf Englisch zusammen mit seiner Tochter, der Historikerin Fania Oz-Salzberger, geschrieben, beweist, dass der 75-Jährige immer noch für eine Überraschung gut ist.

Es handelt sich um eine persönlich gefärbte Annäherung an das Judentum, das hier weder als historisch noch als geografisch eingrenzbares Phänomen verstanden wird, sondern das sich aus der Lektüre von Texten und aus der jahrhundertlangen Tradition der Exegese, der nie endenden Auseinandersetzung mit Worten, konstituiert. Auf weitere Überraschungen aus der Feder von Amos Oz kann man auch künftig gespannt sein.

Anat Feinberg lehrt Hebräische und Jüdische Literatur an der Hochschule für Jüdische Studien in Heidelberg.

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