Mit dem Rad von Tel Aviv nach Berlin? Fredy Gareis arbeitete als Korrespondent in Israel für die »Zeit« und das Deutschlandradio. Doch statt nach dem Ende seines Jobs mit dem Flieger heimzukehren, kaufte sich der 39-Jährige ein gebrauchtes Fahrrad und radelte mal eben nach Hause. Bergauf, bergab, Tag für Tag, Woche für Woche, insgesamt 5114 Kilometer.
Was der radelnde Abenteurer auf seiner langen Reise über Landes- und Vernunftsgrenzen hinweg zwischen Schlagloch und Leitplanke, kläffenden Hunderudeln und hupenden Sattelschleppern erlebt hat, ist nun in seinem Buch Tel Aviv – Berlin. Geschichten von tausendundeiner Straße nachzulesen.
ausgeraubt »Tel Aviv riecht salzig nach Meer und sauer nach Katzenpisse. Im Norden der Stadt biege ich auf den Radweg am Yarkon-Fluss ab. Fahre unter den Kronen der Platanen und Eukalyptusbäumen entlang. Atme die Luft dieser grünen Lungen, die um diese Jahreszeit noch frisch ist.«
Doch noch bevor er auf direktem Wege von Israel in den Libanon radelt, wird Gareis zunächst einmal ganz schnöde ausgeraubt. Und so gerät seine Radtour gleich zu Beginn nicht zur Schussfahrt ins Glück, sondern zu einer Odyssee. Eine Irrfahrt, die zur Reise zu sich selbst wird.
»Man hat 8-10 Stunden auf dem Fahrrad, und irgendwann will der Geist mit etwas anderem beschäftigt werden, als einfach nur in die Landschaft zu gucken. ... Keine Kommunikationswege nach außen zu haben und einfach mal zu schauen: Wo stehe ich im Leben? Bin ich zufrieden damit? Wie mache ich weiter? Wo gehe ich hin?«
teppichhändler Fredy Gareis ist kein »Ironman«. Er ist Journalist. Es ging ihm nicht um die Überwindung der Wegstrecke, sondern um die Geschichten der Menschen, die er unterwegs getroffen hat. Die junge Liron Mark, die ihre regelmäßigen Besuche in Yad Vashem »als Tribut an ihr jüdisches Volk« versteht; der jordanische Teppichhändler mit dem geläufigen Namen Saddam Hussein, der den Reisenden am Ende der strapaziösen Tagesetappe mit Tee wieder aufpäppelt; der Marathonläufer Mahmoud, der Gareis durch das Beiruter Flüchtlingslager Schatila begleitet. Wegen all dieser Menschen haben sich die Strapazen gelohnt – ob der Weg nun über einen der berüchtigten Drogenpässe im albanischen Hochland führte oder nach Auschwitz, wo der Autor bilanziert, dass der »Tod leider nicht nur ein Meister aus Deutschland« ist.
Fredy Gareis hat Dutzende von Grenzen überwunden. Sein Buch zeigt, dass sich die Mauern vor allem in den Köpfen der Menschen befinden. Und dennoch ist eine der wichtigsten Erkenntnisse auf dieser Reise die großartige Gastfreundschaft, die dem Fremdling entgegengebracht wurde, diesem »Deppen auf dem Fahrrad«.
idiot »Egal wo du hinkommst, es kann auch die gefährlichste Gegend sein: Die Leute sehen dich und denken: Was ist denn das für ein harmloser Idiot? Du wirst als harmlos zum einen wahrgenommen, und zum anderen weckst du in den Leuten Beschützerinstinkte – ok, den müssen wir füttern, der sieht ziemlich abgemagert aus auf diesem Rad, das muss anstrengend sein, wir müssen ihn bewirten. Und natürlich: Die Leute wollen deine Geschichte wissen.«
Fredy Gareis ist als Reiseschriftsteller kein weitgereister Exot wie Bruce Chatwin. Er ist auch kein Helge Timmerberg, der noch die beiläufigste Begebenheit zu einer poetischen Märchenstunde macht. Doch Gareis hat einen Ton der Wahrhaftigkeit gefunden, der im Journalismus und auch in der Literatur von heute eine Seltenheit ist. Wenn das das Resultat seiner Reise zu sich selbst ist, sind wir als Leser die glücklichen Nutznießer seiner »Geschichten von tausendundeiner Straße«. Zum Lesen und zur Nachahmung empfohlen!
Fredy Gareis: »Tel Aviv – Berlin. Geschichten von tausendundeiner Straße«. Malik, München 2014, 286 S., 59 Fotos. 19,99