Was scharfes Essen betrifft, scheiden sich die Geister. Es gibt Menschen, die an Schärfe-Wettbewerben teilnehmen, und jene, die schon bei kleinsten Chili-Mengen ein Essen für unverzehrbar erklären. Dass das Schmerzempfinden von Mensch zu Mensch variiert, ist bekannt.
Aber dass ein palästinensischer Junge Berichten zufolge komplett schmerzfrei große Mengen scharfer Chili-Schoten verzehren kann, überrascht dann doch. Israelische Forscher fanden nun heraus, warum das so ist. Ihre Ergebnisse könnten außerdem zu bahnbrechenden Fortschritten in der Schmerzforschung führen.
Bereits seit seinem dritten Lebensjahr soll der Elfjährige problemlos extrem scharfe Chili-Schoten verzehrt haben. Dessen Mutter ging eines Tages besorgt zu einem Arzt im Hadassah-Krankenhaus in Jerusalem, doch Antworten erhielt sie erst, nachdem ihr Arzt einen Vortrag des Professors und Biochemikers Baruch Minke von der Hebräischen Universität Jerusalem besucht hatte.
zufall Es war ein glücklicher Zufall, denn Minke sprach in seinem Vortrag über eine Proteinfamilie, die er entdeckt und TRP genannt hatte. In der Schmerzforschung spielt diese eine entscheidende Rolle, insbesondere im Zusammenhang mit Chili-Schoten. Erst 2021 erhielt der Molekularbiologe David Julius von der University of California in San Francisco den Medizin-Nobelpreis, weil er ein Protein innerhalb dieser Familie fand, das durch Capsaicin, den scharfen Inhaltsstoff der Chili-Schote, aktiviert wird. Es trägt den Namen TRPV1.
Das wusste Baruch Minke und war entsprechend begeistert, als er von dem Chili-Jungen erfuhr. »Ich wusste, dass das TRPV1-Protein durch Capsaicin aktiviert wird. Und die Tatsache, dass er das scharfe Gefühl nicht spürt, wenn er Chili isst, ließ mich sofort an einen Defekt in diesem Molekül denken«, berichtet der Forscher im Gespräch mit der Jüdischen Allgemeinen.
Bereits seit seinem dritten Lebensjahr soll der Elfjährige problemlos extrem scharfe Chili-Schoten verzehrt haben.
Er erklärte auch, dass David Julius all seine TRPV1-bezogenen Schmerzexperimente aus offensichtlichen Gründen nur an Nagetieren durchführen konnte. Es war der Chili-Junge, der menschliche Untersuchungen in diesem Feld möglich machte. Minke und sein Forschungsteam nahmen sich der Sache schließlich an. Die Ergebnisse ihrer fünfjährigen Studie erschienen nun in dem renommierten »Journal of Clinical Investigation«.
schmerz »Wir fanden heraus, dass er eine einzigartige Mutation in diesem TRPV1-Protein hat. Er ist der einzige bekannte Mensch mit einer solchen Mutation«, so Minke, der auch die gesamte Familie des Jungen untersuchte. Das Ergebnis: Die Mutation fand sich bei fast allen Familienmitgliedern. Doch nur bei dem Elfjährigen blieb der Schmerz aus, was sich dadurch erklärt, dass sowohl sein Vater als auch seine Mutter die Mutation an ihn weitergaben. Beim Rest der Familie zeigte sich das Phänomen nicht, weil sie das mutierte Gen nur zur Hälfte in ihrem Erbgut trug.
Das Ganze ist vor allem deswegen interessant, weil es »ein Problem bei der Herstellung von selektiven Schmerzmitteln« gebe, erklärt Minke. Bislang nehmen Menschen entweder Opiate oder Entzündungshemmer ein, mit allen möglichen Nebenwirkungen. Der Chili-Junge habe daher etwas, das Pharmaunternehmen verzweifelt suchen.
Noch bevor sein Fall bekannt wurde, begannen Pharmaunternehmen mit der Entwicklung von Anti-TRPV1-Medikamenten, die rückblickend die Mutation des Jungen nachahmten. Diese Bemühungen wurden vor allem durch die Arbeit von David Julius angestoßen. Doch es gab ein Problem: Die Medikamente ließen die Körpertemperatur der Probanden um zwei Grad ansteigen, was bei Menschen schwere Folgen haben kann. Die Experimente wurden daraufhin gestoppt.
Der Chili-Junge ist in doppelter Hinsicht bemerkenswert, denn die Mutation seines TRPV1-Proteins ist bei ihm mit einer normalen Körpertemperatur gepaart. Er steht damit für die Hoffnung auf neue Anti-TRPV1-Schmerzmittel – frei von gefährlichen Nebenwirkungen.