Um das derzeit schillerndste Phänomen im deutschen Battle-Rap zu erklären, braucht es einen langen Atem: Spongebozz, der vom Feuilleton als Anti-Bushido und versiertester Texter gefeiert wird, trug bei seinen Auftritten lange Zeit ein Kostüm der Cartoonfigur SpongeBob Schwammkopf.
Schon allein das ist in einer Szene, in der weniges wichtiger ist als das möglichst authentische, hypermaskuline Gangster-Image, ein Faszinosum. Umso skurriler wird es, da Spongebozz mit seinen zwei Alben bereits zu einem der aktuell besten und erfolgreichsten Rapper Deutschlands gehört, neben seit Jahren etablierten Größen wie Haftbefehl oder Xatar.
Demütigung Hinter der Maske steckt, das ist mittlerweile klar, der Rapper Sun Diego, der mit bürgerlichem Namen Dimitri Chpakov heißt. Erstmals trat er in einer Battle-Rap-Liga auf, wo er als Newcomer gnadenlos durchmarschierte und gleich zwei Jahre in Folge mit unfassbar aufwendigen Videos und Texten auf höchstem Niveau gewann. 2014 gab sein Finalgegner schlicht auf, nachdem Chpakov einen 35-minütgen Bombast-Track als Hinrunde einreichte. Derzeit grassiert die Gigantomanie im Battle-Rap, weil die Reimtechnik an ihre Grenzen zu stoßen scheint. Die Ironie schlug um in die ultimative Demütigung: besiegt von einem rappenden Schwamm.
Nun hat Spongebozz sein zweites Album Started from the Bottom/KrabbenKoke Tape herausgebracht und legt sich darauf, vom Erfolg beflügelt, mit halb Rap-Deutschland an, inklusive dem Erzrivalen Kollegah. Zusammen mit Labelkollegen PA Sports konterte dieser geschmacklos mit einer Schoa-Metapher gegen den Juden Chpakov. Rivalitäten sind das neue Fundament im Deutsch-Rap. Auf Herausforderung folgt Verteidigung – die Fans warten gespannt und identifizieren sich mit ihrem Idol, ihrem Team. Die Szene und die Industrie jubilieren.
Das ist bei Spongebozz besonders interessant, da er auf dem neuen Album mit seiner Jüdischkeit spielt. Bereits am Albumtitel ist erkennbar, dass Chpakov sich musikalisch an seinem Rap-Vorbild Drake orientiert, der ebenfalls Jude ist. Im Track »Yellow Bar Mitzvah« zeigt sich der nunmehr meist ohne Kostüm rappende Chpakov zwischen einer Feuer speienden Menora und leuchtendem Davidstern.
Jüdische Themen sind im deutschen Rap kaum präsent, wenn sie nicht abwertend gemeint sind. Chpakov bildet seine Reimketten auf dem neuen Album ohne Ironie mit Wörtern wie »koscher« und »Mazel tov«. Das ist insofern erfrischend, als in den letzten Jahren meist die arabisch-türkische Sprachkultur dominierte.
Drogen Wie bei vielen Battle-Rappern lahmt das Doppelalbum ab und zu ob der repetitiven Geschichten von Drogen, Waffen, Autos und Frauen. Doch das ist Jammern auf sehr hohem Niveau. Trotz der riesigen Konkurrenz im Genre, das allein 2016 die Charts beherrschte wie kein anderes, ist die Qualität der Produktion herausragend – zumal Spongebozz ohne großes Label im Rücken veröffentlicht.
Dass nach den jüngsten Diskussionen um Judenhass im deutschen Rap – Bushido und Kollegah lassen grüßen! – nun einer der erfolgreichsten Protagonisten affirmativ mit seinem Judentum umgeht, ohne in religiösen Chauvinismus zu verfallen, tut dem Klima in Deutschlands einflussreichster Jugendkultur gut.
Spongebozz: »Started from the Bottom/ KrabbenKoke Tape«. Bikini Bottom Mafia 2017