Auf der Feier zu seinen Ehren hätte sich Franz Kafka wohl nicht so richtig wohlgefühlt: Blaue Laserblitze zuckten in den Prager Himmel, aus Düsen strömte Kunstnebel, den Gästen wurden Gläser zum Anstoßen gereicht – und in der Mitte steht der silbern glänzende Kafka-Kopf, gigantische elf Meter hoch. Für mehrere Monate war die Statue, die sich entlang vieler Gelenke dreht, wegen Wartungsarbeiten außer Betrieb. Beim Festakt in diesem Februar setzte sie sich wieder in der Prager Neustadt in Bewegung – zehn Jahre nach ihrer ersten Installation und passenderweise exakt im großen Kafka-Jahr.
Die Statue zählt zu den meistfotografierten Attraktionen in Prag, und allein schon darin liegt ein Widerspruch zum Charakter Kafkas, den seine Zeitgenossen als zurückhaltend, schüchtern und bescheiden geschildert haben. Und jetzt ausgerechnet eine Skulptur für ihn, die allein von ihrer Größe her wuchtiger als so manches Reiterstandbild aus vergangenen Jahrhunderten ist?
Genau das werfen Kritiker den Machern der Statue vor: dass sie gar kein Kunstwerk sei, sondern eher eine Reklame-Attraktion, um Besucher zum benachbarten Nobel-Einkaufszentrum an der Vladislavova-Straße zu locken. Dass sie mit ihrer verspiegelten Oberfläche viel zu eitel glänze. Dass sie von bemerkenswert wenig Demut und Einfühlungsvermögen zeuge. Die Befürworter der Statue kontern trocken: Sei es nicht das höchste Ziel eines jeden Denkmals, an den Geehrten zu erinnern? Und wenn die Statue ständig fotografiert und bestaunt wird – sei dann dieses Ziel nicht im höchsten Maße erreicht?
Entfant terrible der Prager Kunstszene
Mindestens so umstritten wie der im Licht reflektierende Kafka-Kopf ist der Künstler, der ihn gebaut hat. David Černý hat sich in den 90er-Jahren als enfant terrible der Prager Kunstszene einen internationalen Ruf erarbeitet – sein Markenzeichen sind provokative Statuen, häufig überlebensgroß und komplex an Technik und Statik. Ein Freund der großen Worte hingegen ist Černý nicht. Zum Kafka-Kopf zitiert ihn unter anderem eine Prager Zeitung: »Ich denke, das ist schön, tschechisch. Dieser Deutsche.«
Die Statue zählt zu den größten Attraktionen in Prag – ein Widerspruch zu Kafkas Charakter?
Allein diese eher simple Äußerung zeigt einen großen Unterschied zu den Künstlern der beiden anderen Kafka-Statuen, die es in Prag gibt: Karel Hladik hatte damals über die Büste an Kafkas Geburtshaus, die 1966 enthüllt wurde, mit Max Brod in Tel Aviv korrespondiert, um dem Porträtierten möglichst gut gerecht zu werden. Und Jaroslav Róna, der das in Künstlerkreisen gefeierte Denkmal bei der Spanischen Synagoge entworfen hatte, äußerte sich immer wieder in Vorträgen und Essays über »seinen« Kafka.
David Černý hingegen macht es einfach und erklärt nicht viel. Und unstrittig ist: Sein Kafka-Kopf ist (mindestens) in technischer Hinsicht ein Meisterwerk. Für die 39 Tonnen schwere Statue hat er das Kunstobjekt in 42 horizontale Scheiben geschnitten, die sich mit Motoren einzeln um eine Mittelachse drehen. Die Bewegung ist über einen Computer so gesteuert, dass der Kopf wie in Zeitlupe Scheibe für Scheibe entfremdet wird, sich aber nach einigen Minuten immer wieder korrekt zusammensetzt und dann in eine ganz andere Richtung blickt als zuvor.
1800 Stunden Programmier- und Konstruktionsarbeit
1800 Stunden Programmier- und Konstruktionsarbeit stecken in der Statue, es waren mehr als 2000 technische Zeichnungen für alle Details nötig, mehr als 12.000 Nieten halten alles im Innern zusammen, und es verläuft kilometerweise Kabel zwischen den Motoren. Alle diese technischen Daten finden sich auf der Homepage der Immobiliengesellschaft, die Černýs Statue bestellt und vor dem Einkaufszentrum aufgebaut hat.
Genau das ruft wieder die Kritiker auf den Plan: Der Kafka-Kopf sei eine kommerzielle Initiative ohne künstlerische oder städtebauliche Diskussion im Vorfeld; die Statue könne eigentlich einen beliebigen Kopf zeigen, Kafka sei nur wegen der Bekanntheit gewählt worden. Und wiederum nehmen Befürworter den Künstler David Černý in Schutz: Die Verschiebung der Platten, dieses scheibenartige Entgleisen der Züge – das sei doch eine wunderbare und tiefsinnige Umsetzung der »Verwandlung«.
Neuzeitliches Pendant zur astronomischen Uhr
»Dieses Werk verstehen wir als neuzeitliches Pendant zur astronomischen Uhr, die ebenfalls viel schöne Mechanik in sich trägt«, sagt Jan Kislinger über den Kafka-Kopf, der Chef der Firma, die für das hochkomplexe Kunstwerk die Technik gebaut hat. Die astronomische Uhr: Sie ist eines der Wahrzeichen der Stadt. Am historischen Rathaus am Altstädter Ring mitten in Prag lässt sie zur vollen Stunde die Apostel aus einem Türchen treten und im Kreis spazieren.
Zu ihrer Entstehungszeit im Jahr 1410 war die Uhr ein technisches Weltwunder – so umjubelt, dass die Auftraggeber den Künstler der Legende nach blenden ließen, damit er nirgendwo anders mehr ein ähnliches Meisterwerk errichten konnte. Und eine Gemeinsamkeit hat die Aposteluhr auch wirklich mit dem Kafka-Kopf: Sie steht ebenfalls in jedem Reiseführer, und auch um sie gruppieren sich fotografierende Touristen in Scharen. Tatsächlich hat es die Statue geschafft, zu einem Aushängeschild für das moderne Prag zu werden; zu einem Kontrast zu all der historischen Prager Pracht, die oft wie ein Freilichtmuseum anmutet.
Der Immobilienfirma, der die Büste gehört, ist das Kunstwerk sehr viel Geld wert. Die General-Überholung jetzt im Kafka-Jahr soll dem Vernehmen nach noch einmal rund die Hälfte der millionenschweren Anschaffungskosten ausgemacht haben. Und weiterhin wird die Statue alle 14 Tage einer Wartung unterzogen. Das freut sogar die Kritiker: So viel dauerhafte Aufmerksamkeit, sagen sie, habe sich Franz Kafka nun wirklich verdient.